«Madame, un bock?... »


(1950: Frauen, Bier und Bierreklame - Bierbrauer greifen an )
(2005: Bierbrauer: Süssere Zeiten dank Frauen als Zielgruppe)

Wenn wir ausnahmsweise den Titel französisch fassen, so weil auch Herr Hans Wegmann vom Schweiz. Bierbrauerverein, Zürich, seinen Vortrag über moderne Kollektivbierreklame am 11. Internationales Bierbrauerkongress von 1949 in Luzern auf französisch gehalten hat.
Es war ein überaus interessanter Vortrag. Die Bierbrauer sind ja auserlesene Meister nicht nur der Technik der Fabrikation des Bieres. sondern auch noch derjenigen der Reklame für ihre Produkte. Wir übersetzen nachstehend den Hauptteil der Ausführungen von Herrn Hans Wegmann über das besagte Thema aus der «Schweizer Brauerei-Rundschau»:

«• Ein sehr strikter Vertrag zieht seit etwa 15 Jahren der Reklame der einzelnen Brauereien enge Grenzen. Angesichts der besonderen Absatzverhältnisse, die wir zustande brachten (gemeint ist die Tatsache, dass die Brauereien die sog. «freien» Schweizerwirtschaften unter sich aufgeteilt und des Rechtes beraubt haben, ihre Bierlieferanten selber zu wählen. Red.), wäre es völlig überflüssig, sich gegenseitig mit Hilfe der Reklame erbitterte Konkurrenzkämpfe zu liefern. So wurde Schluss gemacht mit Slogans, wie «Das Bier X ist das beste» oder «Trinkt die Marke Z, die Königin der Biere». Übertreibungen, die heute abgenützt sind, weil man zu viel Missbrauch damit getrieben hat. Die Zeiten liegen glücklicherweise hinter uns, da man noch durch Monstreplakate, kostspielige Inserate usw. seinen Konkurrenten und teuern Kollegen zu überbieten und zu erdrücken suchte.
• Dafür sind nun alle unsere Bemühungen darauf gerichtet, das Biertrinken als solches zu Propagieren. Durch die Konzentration unserer Kräfte ist uns eine Kollektivreklame ermöglicht worden, welche Beachtung findet, allen Brauereien zugute kommt und dazu unvergleichlich weniger kostet als die frühere, notwendigerweise verzettelte Reklame der einzelnen Brauereien.
• Obwohl das Bier auf dem schweizerischen Getränkemarkt eine wichtige Rolle spielt, ist es doch nicht unser einziges Nationalgetränk. Wein und Most - Erzeugnisse unseres Bodens - weisen ebenfalls einen grossen Konsum auf und erfreuen sich ausserdem des gewaltigen Vorteils, dass sie den Schutz des Staates geniessen, dem ihre Überschüsse und ihr Absatz oft schier unlösbare Probleme stellen. Daher müssen die Brauereien alle geeigneten Mittel anwenden, um sich die Gunst des Publikums zu erhalten.
• Wir sagen dem Konsumenten, das Bier sei gesund, man trinke es seit Jahrtausenden . . . oder auch einfach, es sei gut. Während der letztvergangenen Jahre, als es uns ermöglicht wurde, den Stammwürzegehalt des Bieres zu erhöhen, sagten wir dem Konsumenten, das Bier sei wieder stärker eingebraut...
• Vis-à-vis der Presse hat die Kollektivreklame den grossen Vorteil, dass die «konzentrierten» Reklameaufträge - wenn ich so sagen darf - die wir des Zeitungen erteilen können, für diese von Gewicht sind. Das verschafft uns die Möglichkeit, von Zeit zu Zeit Artikel oder Communiqués in den Zeitungen zu veröffentlichen.
• In diesen letzten Jahren haben uns zwei hauptsächlich unserem Lande eigentümliche Tatsachen sehr beschäftigt.
• Sprechen wir vorerst von den Damen nach dem Spruche: A tout seigneur tout honneur! In der Schweiz trinkt die Frau nur wenig Bier. Ist es die Sorge um die «schlanke Linie», die daran schuld ist... oder - ausserhalb der Arbeiterklasse - die Idee, Bier sei nicht «ladylike», was sie vom Biertrinken abhält? Wir wissen es nicht. Jedenfalls bemühen wir uns aber in unserer Reklame, die Frau zu beeinflussen... und besonders die Frau von einem etwas höheren Niveau, um sie so ganz sachte zu unserem Produkt hinzuführen. Das hat zweifellos seine Wichtigkeit, denn gewöhnlich ist es die Frau. die über das Haushaltungsbudget verfügt. Wenn sie dem Bier ungünstig gesinnt ist, so wird sie leicht dazu neigen, auch den Mann von einer nicht notwendigen Geldausgabe abzuhalten.
• Eine andere Eigenart unseres Landes besteht darin, dass in des als elegant geltenden Gaststätten, z. B. im Restaurant des «Grand Hôtel», der Biergenuss nicht als schick betrachtet wird. Dort, wo der Franzose, Engländer, Belgier oder Amerikaner ohne Zögern Bier bestellt, weil es ihn darnach gelüstet, glaubt man sich in der Schweiz verpflichtet, Wein zu bestellen.
• Um diese Ideen zu bekämpfen, haben wir beschlossen, in unseren Propagandafilmen einerseits die junge, schlanke Frau vorzuführen, die Bier trinkt, sowie die elegante Gaststätte, wo unser Produkt konsumiert wird.»
Zumteil gehen diese Reklameziele der schweizerischen Bierbrauer auf angelsächsische Vorbilder zurück.


Reklame-Motiv des Schweiz. Bierbrauervereins

Herr Wegmann teilte dann des weiteren mit, dass das Lied, welches das Leitmotiv eines der Propagandafilme des Schweiz. Bierbrauervereins bildet «Blond oder braun, eine mitreissende Polka» auf Schallplatten übertragen worden sei und dass der genannte Verein die Noten dazu an sämtliche Orchester der Schweiz verteilen liess... Wer würde, ohne diese Feststellungen von Herrn Wegmann zu kennen, auf den Gedanken gekommen sein, dass zwischen der leichtbeschwingten Muse der Musik und dem Hektoliterfonds des Schweiz. Bierbrauervereins so materielle Zusammenhänge bestünden!
Es dürfte nach allem, was man heute weiss, kaum zu viel behauptet sein, wenn man sagte, dass die Bierbrauerpropaganda die m besten orchestrierte der Schweiz ist. Nachdem das Thema der jungen Frau, die Bier trinkt... des jungen Pärchens, das Bier trinkt, ... schon in des letzten Jahren in der Bierpropaganda angetönt wurde, brachten
zu Weihnachten 1949
so todernste Tageszeitungen wie «Der Bund» oder die «Neue Zürcher Zeitung» ausser dem gewohnt frommen Leitartikel auf der ersten Seite im hinteren Teil des redaktionellen Texte gar eigentümliche Lobartikel auf den Bock, Symbol der Fruchtbarkeit und Zeugung, zu dessen Ehren die alten Germanen ... Bier getrunken hätten, zarte Winke für die heutige Christenheil, den alten Germanen nachzueifern. (Wie man erfuhr, war das Weihnachtsbockbiergeschäft für unsere Brauereien ein fettes Geschäft, was beweist, dass der Bock noch heute ein zugkräftiges Symbol ist!)

Dass dabei auch die Frauenwelt, die immerhin die Hälfte des menschlichen Geschlechtes und damit der möglichen Bierkonsumentenschaft ausmacht, nicht vergessen worden war, ergab sich aus der besagten Bockbierweihnachtsliteratur; so schrieb die «Neue Zürcher Zeitung», dass die Frauen des königlichen Palastes zu Babylon 3 Liter Bier als tägliche Ration erhielten, und der Bockbiermitarbeiter der Zeitung fügte bedeutungsvoll hinzu: «Solche Quantitäten scheinen jahrtausendelang ungefähr gleich geblieben zu sein» (!) ... Man stelle sich die Rendite der Aktienbrauereien vor, wenn unsere Schweizerfrauen auch eine tägliche Ration von 3 Liter Bier forderten! (Die Erklärung der schier unbegreiflichen Tatsache, dass angesehene Tageszeitungen solchen Quatsch veröffentlichen, ist im Vortrag von Herrn Wegmann selbst enthalten.)
Auf Pfingsten 1950 hin
hat dann der Bierbrauerverein in der ganzen Schweiz massenweise ein Plakat anschlagen lassen, das eine junge, schicke Dame andeutet Idealbild der heranwachsenden helvetischen Weiblichkeit, die mit zarter, gepflegter Hand (Fingernägel nach der neuesten Mode lackiert) einen Becher Bier umfasst, um ihn den rot geschminkten Lippen zuzuführen eine wahre neuhelvetische Gertrud. wie sie die Bierbrauer wohl schon en masse vor sich sehen!
Nachdem ein Vertreter des Schweiz. Bierbrauervereins selbst öffentlich festgestellt hat, dass die Kollektivreklameaufträge dem Verein die Möglichkeit verschaffen, periodisch
Artikel im Textteil
zu veröffentlichen weil eben die genannten Aufträge für die Zeitungen von Gewicht seien , wird eine bekannt freie Schweizerpresse wohl nicht mehr diesen Zusammenhang zwischen Reklame- und Textteil in Abrede stellen wollen! Wie dieser Zusammenhang mit dem Verbot der Reklame im redaktionellen Teil zu vereinbaren ist, hat der Schweiz. Zeitungsverlegerverein bisher nicht erklärt. Aus ähnlichen Beweggründen heraus erklärt sich zweifellos das auffallende Stillschweigen, das die Tagespresse bis auf wenige Ausnahmen angesichts der skandalösen Steuerentlastung beim Bier geübt hat, und vielleicht haben Rücksichten auf die Parteipresse wiederum zu dem nicht weniger auffallenden Stillschweigen beigetragen, welches von den drei Grossparteien des Eidg. Parlamentes in der gleichen Affäre beobachtet worden ist. Die Parteijournalisten spielen ja innerhalb der Parteileitung eine ausschlaggebende Rolle. - Nebenbei sei erwähnt, dass am Luzerner Bierbrauerkongress
ein politisch Totgesagter
wieder recht lebhaft mitmachte: Herr alt Nationalrat Dr. jur. L. F. Meyer, weiland ein allereinflussreichster Obereidgenosse, vor dem sich Bundesratstüren schon zu öffnen pflegten, bevor er nur angeklopft halte, ... wenigstens bis er dann es brauchte viel dazu! von seiner eigenen Partei ersucht werden musste, von der politischen Schaubühne abzutreten. In seiner Ansprache rühmte sich Herr Dr. L. F. Meyer eines Verdienstes, dessen er sich wohl in keiner seiner pathetisch patriotischen Reden je gerühmt hatte, nämlich dass er seit über 40 Jahren mit der Bierbrauerei aufs engste verhängt sei... Er bestätigte damit, was wir hier früher dutzendmale festgestellt hatten. Fügen wir bei, dass das genannte Verdienst zweifellos auch von einem klingenden Verdienst begleitet war!
Nachdem hier ein Mann das Wort führte, der die Bierbrauerei unseres Landes seit über 40 Jahren aufs innigste kennt, wollen wir daraus doch folgende Feststellung anführen ... zur Beruhigung des eidgenössischen Finanzdirektors, der im Parlament so oft von der «Not im Brauereigewerbe» mit einem Mitgefühl gesprochen hat, das nach unserem Empfinden bei anderen, wirklichen Nöten besser angewandt gewesen wäre. Dr. F. L. Meyer erklärte wörtlich (d. h. auch er sprach französisch): «Man darf sagen, dass das schweizerische Brauereigewerbe gesund ist: wenn Fiskus und Staat sich nicht zu sehr in seine Angelegenheiten einmischen, kann seine Zukunft als gesichert betrachtet werden.»

Die Kollektivbierreklame wird bezahlt aus dem sog. Hektoliterfonds
des Schweiz. Bierbrauervereins. Dieser Fonds wird von den einzelnen Brauereien im Verhältnis zu ihrer Produktion gespiesen. Ob sich die Verwendung des Hektoliterfonds in der Bezahlung der Bierreklame erschöpft und welche Ausdehnung diesem Begriff gegeben wird, entzieht sich natürlich unserer Kenntnis. Darüber sagt man nicht einmal an Brauereikongressen etwas.
Solche Fonds der genannte dürfte auch in der schweizerischen Industrie nicht einzig dastehen erscheinen uns in einer Demokratie als etwas recht Gefährliches. Der Einfluss des Hektoliterfonds auf die Presse z. B. bedarf wohl keiner Erörterung mehr. In angelsächsischen Ländern sind aber auch schon Fälle genannt worden, wo solche Fonds z. B. zur Beeinflussung von Wahlen und Ernennungen benützt wurden natürlich nicht im Interesse des Allgemeinwohles, sondern eben im Dienste gewisser Sonderinteressen
Ob nicht auch der sehr massive jährliche Beitrag des Schweiz. Bierbrauervereins an die Direktion des Schweiz. Wirtevereins aus dem «Hektoliterfonds» stammt?

(Josef Odermatt in "Die Freiheit" - Blätter zur Bekämpfung des Alkoholgenusses - Für Aufklärung und praktische Arbeit, herausgegeben von der Schweizerischen Zentralstelle zur Bekämpfung des Alkoholismus, Lausanne. - Gemeinsame Zeitschrift des Alkoholgegnerbundes, der Vereine abstinenter Lehrer, Frauen, Eisenbahner, der "Abstinentia" u. a. m., 24. Juni 1950)


Bier wirklich seit Jahrtausenden 

Anmerkung 2005: Das Bierkartell existiert nicht mehr. Die Kollektivwerbung ist inzwischen eingestellt worden. Dem Brauerei-Verband gehören 20 schweizerische Brauerei-Unternehmen mit einem Mindestausstoss von 3000 hl an. (Die Zahl der Klein- und Kleinstbrauereien hat in den letzten sprunghaft zugenommen.) Biermischgetränke versuchen, die Lücke der Alkopops (Alcopops) zu füllen. Eine Zunahme des Konsums von Billigbieren ist zu erwarten ("Aldisierung").
Interessant sind die ALKOHOLPOLITISCHEN GRUNDLAGEN der Brauer von 1996. " Für das Funktionieren des sozialen Lebens ist der mündige Bürger, der sein Leben in eigener Verantwortung gestaltet, Voraussetzung."


"Bierbrauer: Süssere Zeiten dank Frauen als Zielgruppe

Die Schweizer Bierbranche kämpft mit sinkenden Absätzen. Um den Konsum anzukurbeln, setzen die Brauereien auf süsse Biersorten – und haben die Frauen im Visier."
So titelte 20min am 16. August 2005.
Wie schon vor 60 Jahren sollen die Frauen den Bierproduzenten den Absatz sichern. Mit Eleganz ist wahrscheinlich nicht mehr viel holen ("Madame, un bock"). Frauen - und Jugendliche - lieben Süsses. Daher werden Mischungen von Bier mit Apfelsaft, Limonaden, Cola und so weiter auf den Markt geworfen. Alkopop-Trinker können hier billigen "Ersatz" finden. ("Bier" dürfen sich diese Mischungen allerdings nicht nennen.)
"Auch wir wollen vermehrt die Frauen als Zielgruppe ins Auge fassen», meint Markus
Bossart vom Heineken-Konzern.
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Volksabstimmungen zur Alkoholpolitik: Sechs alkoholpolitische Kraftakte
 
Geschichte des Beirates von SAS - SFA/ISPA 1913-1982
Schweizerischer Rat für Alkoholprobleme
1995: Wirt ist ein ganz spezieller Beruf

1987: Alkoholpolitik zwischen Wirtschaft und Gesundheit
Prof. Dr. Gustav von Bunge 1844 - 1920
Die Alkoholartikel der Bundesverfassung von 1885
Die Alkoholartikel in der Bundesverfassung Ende 1999
Die Alkoholartikel in der Bundesverfassung 2000
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Madame, un Bock? Frauen und Bier (1950)
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Bier wirklich seit Jahrtausenden (Hieroglyphen)
Ausserdem:
Chroniken zur schweizerischen Alkoholpolitik
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