Die Branntweinpest


Aus der Geschichte der Bestrebungen zur Eindämmung der Schnapsnot im Kanton Bern
(Auszug)

Der Kanton Bern geniesst in Bezug auf den Alkoholismus im In und Auslande einen ungünstigen Ruf. Es rührt dies einerseits von der grossen Ausdehnung her, welche die Trunksucht in in unserem Volke seit der allgemeinen Verbreitung des Branntweins genommen hat, anderseits davon, dass von jeher das Uebel klar erkannt, scharf ins Auge gefasst, allseitig diskutiert und zu bekämpfen gesucht hat. Ähnlich wie in deutschen Landen einst der dreissigjährige Krieg und in Amerika der grosse Sezessionskrieg, so dürfte bei uns zu Lande die französische Revolution mit dem ihr auf dem folgenden Elend nicht wenig dazu beigetragen haben, die Volkstrunksucht, wenn gerade zu erzeugen, so doch wesentlich zu fördern. Besonders seit dem Jahre 1816, wo der Wein sehr teuer war, und dem Hungerjahr 1817, wurde das Schnapstrinken bei uns allgemein.

Der angesehene Arzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) verglich die Ausbreitung des Branntweintrinkens mit der Pest: "Es ist dringende Pflicht, auf eine Pest aufmerksam zu machen, die noch immer ungestört und mehrenteil unerkannt, die fürchterlichsten Verwüstungen unter uns anrichtet.... Die Branntweinseuche oder Branntweinvergiftung ist die Pest, von der ich rede."

Schon im Jahre 1835 schrieb die gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Bern einen Preis aus für eine Schrift über die Bekämpfung der Branntweinpest. 1837 erschien die Arbeit von Dr. S. Lehmann1, dem Jüngeren, Arzt in Muri, über "Die Folgen des Missbrauchs der geistigen Getränke und über die geeigneten Mittel, diesem Übel zu steuern", eine von der medizinisch-chirurgischen Gesellschaft des Kantons Bern gekrönte Preisschrift. Um die gleiche Zeit erhob Jeremias Gotthelf seine Stimme in dem Buche: "Dursli, der Branntweinsäufer oder der Heilige Weihnachtsabend ", 1839. «Wie fünf Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen», 18383.
Die gemeinnützige Gesellschaft des Kantons und [zahlreiche andere Institutionen und Gemeinden] wandten sich in Vorstellungen an den Grossen Rat um Abhilfe gegen die eingerissene Branntweinpest. ...

1Samuel Lehmann, *1806, †1896, 1846-1864 Regierungsrat (Leiter des Sanitäts- und Erziehungswesens, förderte die Gründung der Psychiatrischen Klinik Waldau und die Reorganisation der Berner Hochschule), Nationalrat, Oberfeldarzt (unterzeichnet am 22. August 1864 die Genfer Konvention betreffend die Linderung des Loses der im Felddienst verwundeten Militärpersonen). Er diente Heinrich Zschokke als Vorbild für den Arzt Fridolin Walter in der Erzählung "Die Branntweinpest"2 (1837).

2Die Branntweinpest. Eine Trauergeschichte zur Warnung und Lehre für Reich und Arm, Alt und Jung" von Heinrich Zschokke (1771 – 1848), Aarau 1837. (Eine Sonderausgabe erschien 1902 unter dem Titel "Der Kinder Sühne" im Verlag des "Volksfreundes zur Beförderung der Mässigkeit und Gesundheitspflege", St. Kamillushaus in Werden (Ruhr), heute Fachklinik für Suchtkrankenbehandlung in Essen. Sie enthält Werbung für den "Kath. Mässigkeitsverein" und das "Kath. Kreuzbündnis".
(Volltext "Branntweinpest" im Projekt Gutenberg - Biographie im Projekt Gutenberg)

1839 sprach der Staatsverwaltungsbericht des Kantons Bern des Kartoffelbrennens wegen von einer "Branntweinpest" (Geschichte des Kantons Bern seit 1798: Band II, 4.4. Das Armenwesen). Erst das Alkoholgesetz von 1887 schränkte die Freiheit der Kartoffelbrennerei ein; seit 1933 erfasst das Gesetz auch Obst-, Wein- und Beerenbranntwein, nicht aber Wein und Bier. Schnapsbrennen braucht eine Bewilligung; Schwarzbrennen wird bestraft. (Kurzgeschichte bei der Alkoholverwaltung; Liste politischer Geschäfte im Alkoholbereich, historischer Kommentar mit Volltext aller Botschaften des Bundesrates)

3"Wie fünf Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen. Eine merkwürdige Geschichte." (Ein Rückblick auf das Gotthelf-Jahr 2004: das Alkoholproblem. (Dr. med. Benedikt Horn in "PrimaryCare")
2008: Neuauflage durch die Eidg. Alkoholverwaltung: Sonderdruck im Hinblick auf die Totalrevision des Alkoholgesetzes
Remund Ueli, Brönz , nach Gotthelfs Erzählung "Wie fünf Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen“. (Im teaterverlag elgg in belp)
"Dem Brenner mochte sie die Kartoffeln nicht geben, sie hatte ein Grausen darob; sie sah, wie viele Menschen sich ob dem Brennen und dem Branntewein versündigten, und wie sehr sie sich bei diesen Sünden beteiligte, wenn sie ihre Erdäpfel brennen liesse, vermochte sie nicht zu ermitteln." ( In "Käthi die Grossmutter")


Gegen den Schnaps - Für das Schweizerobst
Referentenführer zur Alkoholrevision 1930
(Auszug)

Entwicklung der Brennerei

Rohstoffe, Technik und Preise
Das Schnapsbrennen ist eine verhältnismässig neue Erfindung. Es fehlten früher Apparate und Rohstoffe. Es kam später vor, dass ganze Kantone das Brennen, wie es damals möglich gewesen wäre, einfach verboten, z. B. im Jahre 1662 der Kanton Schwyz; noch 1771 untersagte er die Herstellung von Chriesiwasser. In Bern waren Verkauf und Ausschank gebrannter Wasser noch zu Ende des 18. Jahrhunderts verboten.

Um das Schnapsproblem zu verstehen, muss man wissen, wie sich die Produktionsbasis der Alkoholindustrie verbreitert hat. Immer billigere, ja fast wertlose, aber in grossen Mengen vorhandene Stoffe kamen für die moderne Alkoholindustrie in Betracht. Deshalb ist es der modernen Technik gelungen, zu erstaunlich billigen Preisen konzentrierten Alkohol in unerhörten Mengen herzustellen.

Ursprünglich wurde Branntwein aus Wein gebrannt. Darauf deutet noch heute auch die Bezeichnung Branntwein, Weingeist, Spiritus vini. Nur in den Klöstern verstand man diese Kunst. (Das französische Kloster Grande Chartreuse fabrizierte jahrhundertelang nach einem besondern Rezept einen berühmt gewordenen Likör.) In den Apotheken wurde der Branntwein teurer als Medizin verkauft. Höchstens wohlhabende Kreise genossen ihn in aussergewöhnlichen Fällen und in kleinen Mengen.

Mit der Zeit wurde das ganz anders. Man lernte durch einen ganz einfachen Prozess die Stärke in Zucker überzuführen; diesen konnte man vergären lassen und brennen' Bald wurden in: den nordischen, weinarmen Ländern Korn und Kartoffeln verwendet. Damit fing der Schnaps an, ein billiges Volksgetränk zu werden. Korn und besonders Kartoffeln waren viel billiger als Wein. Länder traten damit in die Produktion ein; die bis dahin wegen Weinmangel ausgeschlossen waren.

Neue Produktionszweige kamen dazu. Die Zuckerindustrie nahm in der 2' Hälfte des 19. Jahrhunderts einen ungeahnten. Aufschwung. Der Königin Elisabeth von England brachte (zirka 1600) ein Forschungsreisender als grosse Rarität 1/2 Pfund Zucker von seiner Reise heim; heute gibt es viele einfache Familien, die an einem Tag so viel Zucker brauchen. Zucker ist für weite Bevölkerungskreise zu einem wichtigen Nahrungsmittel geworden. Bei der Zuckerindustrie entsteht als Abfallprodukt die Melasse, die noch ziemliche Mengen Zucker enthält: man lässt sie gären und macht Schnaps daraus. Rum ist Zuckerschnaps. In der Tschechoslowakei, wo die Schweiz vor allem ihren Zucker kauft, haben sie solche Mengen Zuckerschnaps; dass sie kaum wissen, wohin damit. In den La Plata Staaten (Südamerika) läuft viel Melasse ungenützt in die Flüsse. Die einzige bedeutende Zuckerfabrik der Schweiz, Aarberg, hat aus ihrer Melasse grössere Mengen Alkohol (1928/29 zirka 350'000 Liter) hergestellt, der allerdings auf Vorschrift der Alkoholverwaltung nicht zu Trinkalkohol verarbeitet werden darf.

Ein anderer, immer wichtiger werdender Industriezweig wurde ebenfalls Lieferant: die Zelluloseindustrie, die aus Holz den Rohstoff liefert für Papier und Kunstseide; sie hat in ungeheuren Mengen als Abfall die Sulfitlauge, die oft verwertet, öfter aber einfach weggeworfen wird. In beiden Fällen möchte man gern den nicht kleinen Gehalt von Zucker vorher herausnehmen, der vom Holz her darin vorhanden ist. Man lässt. ihn durch besonders gezüchtete Hefen vergären und destilliert nachher den Alkohol ab. Die stärkste Alkoholproduktion aus Sulfitlauge besteht in Schweden, das in gewaltigem Um fang seinen Holzreichtum auf Zellulose verarbeitet. Obwohl dieser Alkohol sehr billig ist, werden erst etwa 5 % der Sulfitlauge ausgenützt; 95% laufen noch unausgebeutet in die Flüsse und ins Meer. Die Zellulosefabrik Attisholz bei Solothurn ist der grösste Alkoholproduzent der Schweiz: Der kontinuierlich arbeitende Brennapparat liefert täglich zirka 3000 Liter hochgradigen Alkohol, der ebenfalls durch Vorschrift der Alkoholverwaltung Rohspiritus bleibt; sonst wäre es ein leichtes, daraus auch billigen Trinksprit herzustellen.

Auch bei der Trockendestillation von Holzabfällen wird neben andern Stoffen Alkohol in grosser Menge gewonnen. Schweden verwendet, die ungeheuren Haufen Sägspäne und die kleinen Holzabfälle seiner hochentwickelten Holzindustrie nur durch Verzuckerung der Cellulose und nachfolgende Gärung und Destillation Alkohol herzustellen. Die Schweiz besitzt seit kurzem eine ähnliche Fabrikanlage in Vernier bei Genf; man hofft, dadurch billigen Alkohol zum Autofahren herstellen zu können.

Zu allem hinzu gelang es der Chemie, nicht durch Vergärung, sondern auf synthetischem Weg, indem man von Karbid ausgeht, ebenfalls Trinkalkohol herzustellen. Kein Mensch merkt, dass er nicht auf "natürlichem Weg" entstand. In der Schweiz erwies sich dieser Prozess als zu teuer, weil dazu beträchtliche Mengen Kohle nötig sind. In andern Ländern ist diese Herstellungsweise aussichtsvoller. In Deutschland ist durch Gesetz der Anteil von Sulfit und synthetischem Alkohol an der Gesamtproduktion künstlich niedergehalten, damit die landwirtschaftliche Brennerei lebensfähig bleibe.

Die moderne Alkoholindustrie verwertet zum guten Teil Abfallstoffe, aus denen man nichts mehr anderes herstellen kann; man wirft heute nichts mehr fort. Daher die steigende Produktion trotz sinkenden Preisen.

Auch die Technik der bisherigen Produktlonszweige hat sich verbessert und sichert höhere Ausbeute. Für die Tresterverarbeitung ist die Dampfbrennerei aufgekommen, die meist von Haus zu Haus zieht und aus der gleichen Menge Trester in kürzerer Zeit ein grösseres Quantum Alkohol herausbringt.

Die grosse Produktion hat überall einem Abwehrkampf der Landwirtschaft gerufen. Das Brennen war für sie ein Sicherheitsventil, um bei grossen Ernten einen Teil der Vorräte rasch zu beseitigen und ein Preisdebakel zu verhüten, in Deutschland für die grossen Kartoffelbaugebiete im sandigen Norden, in Frankreich für die Weinbauern, in der Schweiz für die Obstbauern. Durch die Hochentwicklung von Industrie und Wissenschaft ist dieser älteste Zweig, die landwirtschaftliche Brennerei, die durch ihre preisregulierende Funktion bedeutsam war, in Bedrängnis gekommen.

Die Absatzschwierigkeiten machten in allen Ländern das Problem der Ausfuhrbrennerei. In den Ländern der Kartoffel- und Melassebrennerei (Deutschland, Polen, Tschechoslowakei) sind .unter staatlicher Hilfe mit oder ohne Monopol grosse Anstrengungen gemacht worden, um einen Teil des Alkohols unter Ankaufspreis ins Ausland abzustossen. Da andere Länder Ähnliches versuchten, war oft wenig zu holen. "Gerade In dem Augenblick versagte die Ausfuhr, als sie am dringendsten nötig war."

Es ist bekannt, wie die europäischen Länder früher auch die amerikanische Überproduktion durch forcierte Absatzbestrebungen Gesundheit und Kraft der Kolonien bedrohte, bis sich endlich die öffentliche Meinung gegen diese kurzsichtigen Raubritter-Methoden wandte.10 (Man lese darüber in Albert Schweitzers prächtigem Buch "Zwischen Wasser und Urwald", 1921, S. 26, 118.)

Preisentwicklung

Eine Folge der geschilderten. Erfindungen und Entdeckungen war das starke Sinken der Preise. Alles im Leben wurde teurer, der Alkohol aber wurde billiger und billiger. Das Lebensnotwendige stieg im Preise. Das höchst Überflüssige, ja ernstlich Gefährliche stand für wenig Geld auch dem Unbemittelten in immer grösserer Menge zur Verfügung.
Ein Bild über die Preisentwicklung aus neuerer Zeit zeigt untenstehende Tabelle: Preissturz von unversteuertem Spiritus in Deutschland.
Im Jahre 1880 kostete ein hl Rohspiritus in Hamburg, dem Haupthandelsplatz für Alkohol, zirka 44 Mark, 1902 noch zirka 12 Mark.

Etwas von der Flut des billigen Branntweins haben auch wir in der Schweiz erlebt. Man lese dazu die ergreifende Erzählung von Jeremias Gotthelf: *Wie. fünf Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen". Man spürt darin die ganze, mächtige Angst dieses edlen Volksfreundes, dass der gesundeste Teil unseres Volkes, unsere Bauersame, in furchtbarer Weise bedroht war dadurch, dass in jedem Haus ein Brennhafen stand, der weit über alle Bedürfnisse hinaus den Härdöpfler lieferte, so dass "nicht mehr die Leute dem Schnaps nachlaufen mussten, er lief ihnen nach überall hin, auf die Werkplätze, in die Häuser, in ihre Freizeit." Was Gotthelf dort schildert, hatte er nicht als Bericht ausfernen Ländern in der Zeitung gelesen, sondern in seiner Gemeinde und in der nächsten Umgebung miterlebt. Man lese seine Erzählung Dursli, der Branntweinsäufer, wo Gotthelf mit der vollendeten Kunst, die ihm zur Verfügung stand, die Leiden dieser tüchtigen Frau und ihrer lieben Kinder schildert, weil Dursli dem billigen Schnaps verfällt.

Heute notiert konzentrierter Alkohol auf dem Weltmarkt mit etwa 30 Rappen für den Liter. Daraus kann man 2 Liter Schnaps machen! Die natürliche Entwicklung führt auf dem Branntweinmarkt Verhältnisse herbei, die eine vollendete Torheit und eine gewaltige Gefahr sind. Bei steigenden Lebenskosten liefert sie den Branntwein zu äusserst billigen Preisen.
Widerstandslos genoss die Masse diese Segnungen der Kultur. Die Freude darüber war so verbreitet, dass sogar die "Wissenschaft" grossen Täuschungen erlag.

Alle möglichen guten Eigenschaften wurden dem Gebrannten angedichtet. In nordischen Ländern ging man so weit, ihn als zum Leben unentbehrlich hinzustellen; Mediziner schrieben vor, dass auch die Gefängnisinsassen täglich ihre bestimmte Ration Branntwein erhielten! (Kein Mensch dachte daran, dass ihre in der Geschichte wahrhaftig angesehenen Vorfahren, die Normannen, den Schnaps nicht kannten.) Auch in der Schweiz war diese nachgiebige Betrachtung recht verbreitet. Etwas davon lebt noch heute in den Köpfen der Leute, am stärksten auf dem Land. Was rühmte man dem "Härdöpfler" nicht alles nach. Ein Berner Lehrer schrieb uns sehr richtig:

"Man muss vor allem versuchen, jene Massensuggestion zu brechen, die im Kanton Bern fast alle Bürger bis zu den höchsten Spitzen hinauf in den Wahn verstrickt, der beste, gesundeste, wunderbarste aller Schnäpse sei der selbstgebrannte Härdöpfeler, der Brennhäfeler, Karstzingeler, Kartoffelflöckler, Unterirdische und was ihm die Liebe des Bernervolkes sonst noch für Kosenamen gegeben hat. Dieser Schnaps gilt als die beste aller Medizinen, wärmt, kühlt, trocknet, zieht durch, ist Hustenmittel Nr. 1, hilft gegen Verdauungsstörung und hundert andere Leiden. Bundesschnaps ist freilich eine Schweinetränke, mit der man sich vergiften und die einen ins Armen , Zucht und Irrenhaus bringen kann. Aber selbstgebrannter Härdöpfler ist ein Wundermittel, wie es kein zweites gibt. Und die grösste Dummheit haben die Bauern dennzumal begangen, als sie sich das Recht nehmen liessen, Härdöpfler zu brennen. Aus Ärger darüber und unter dem Einfluss dieser Hypnose ist bei uns am 3. Juli11 das Alkoholgesetz verworfen worden. Wir müssen dem Volk wieder ins Gedächtnis rufen, dass es in den 70er Jahren keinen Bundesschnaps gab, dass damals alle die schädlichen Wirkungen ausschliesslich vom Härdöpfler ausgingen, wir müssen vor allem diese Massenhypnose, diesen lächerlichen Kuhblödsinn aufs Korn nehmen."

Man nehme dazu, dass sie in der Ostschweiz lästerlich über den Härdöpfler schimpfen (er wärme nur scheinbar, im Grund kühle er usw.) und dafür ihrem "Trester" alle guten Eigenschaften andichten: Der wärmt von innen usw.! Dabei ist nachgewiesen, dass alle diese "Bauernschnäpse" beträchtliche Verunreinigungen enthalten (Fusel usw.) und darum gefährlicher sind als der Bundessprit. Überall wurden die gedrückten Volksklassen vom billigen Schnaps besonders bedroht. Wer ihnen helfen wollte, musste mit Nachdruck gegen den wohlfeilen Schnaps auftreten.

Alkohol für Autos

Die Frage der Verwendung von Alkohol zum Autofahren ist technisch durchaus gelöst. Am besten scheint sich eine Mischung (halb und halb) von Benzin und Alkohol zu bewähren. In der Tschechoslowakei fahren die Autos der Post und des Militärs mit "Dynalkol", um der Alkoholindustrie Absatz zu verschaffen. Auch in Schweden wird eine solche Mischung (Lätbentyl = Leichtbenzin) in steigendem Masse verwendet.

Anders sieht die wirtschaftliche Seite der Frage aus: Zum Autofahren muss Alkohol sehr billig sein. Insbesondere ist der Alkohol unserer Schweizer Bauernbrennerei dazu viel zu teuer. Dazu schreibt Prof. A. Hartmann (Der Bauer und sein Obst. S. 7): "Eine nähere Prüfung zeigt, dass unser Obstsprit als Betriebsstoff für Motoren unter allen Umständen zu teuer ist. Benzin hat 11'000 Kal, Alkohol 7'100. Ein Liter Sprit sollte heute nur zirka 20 30 Rp. kosten, wenn er als Brennstoff Verwendung finden soll. Das entspricht einem Obstpreis von Fr. 1. bis Fr. 1.50 pro 100 kg. Zu diesem Preise kann kein Obst gebrannt werden. Also müsste der Bund den Motorsprit subventionieren; das könnte er in erheblichem Masse nur tun, wenn er seine Gewinne am Branntwein für eine Verbilligung des Motorsprites statt für die Sozialversicherung verwendete.

Dazu bietet die chemische Technologie mehrere Möglichkeiten, Alkohol billiger herzustellen, so aus Kohle oder aus Sulfitablauge. Es ist auch nicht zu erwarten, dass später einmal die Alkoholpreise so in die Höhe gehen, etwa weil die Erdölvorräte aller Voraussicht nach einer Erschöpfung entgegengehen, so dass dann Obstalkohol als flüssiger Brennstoff herangezogen würde. Die Chemie sieht heute schon voraus, wie in Zukunft das Brennstoffbedürfnis gedeckt werden soll. Gegenwärtig macht die Kohlenforschung die grössten Fortschritte; sie wird bedeutende wirtschaftliche Umwälzungen bringen und es wird ihr möglich sein, aus der Kohle flüssige Brennstoffe zu liefern, die wieder viel billiger sein werden als Gärungsalkohol. Der Gärungsalkohol kann nach Überwindung des Schnapsalkoholismus in Zukunft noch Verwendung finden für Brennsprit, für, chemische Zwecke, Tinkturen, Lösungsmittel; doch dazu bedarf es verhältnismässig kleiner Mengen, die sogar die Tresterbrennerei immer noch zu liefern vermag. Alkoholherstellung für technische Zwecke kann die Überschüsse des schweizerischen Obstbaues unmöglich rationell verwerten!"
(Quelle: Gegen den Schnaps - Für das Schweizerobst; Referentenführer zur Alkoholrevision12 von F. RUDOLF, Pfarrer, Zürich; Herausgegeben vom Nat. Verband gegen die Schnapsgefahr; Zürich 6, Neujahr; Gotthelf-Verlag, Bern)

Anmerkungen des Webmasters:
10 Die Alkoholfrage in den Kolonien
Die Zunahme des Alkoholismus in gewissen afrikanischen Kolonien beunruhigt die verschiedenen immer mehr. Die Internationale Vereinbarung von St. Germain-en-Laye von 1919, welche die Einschränkung der Einfuhr gebrannter Getränke in Afrika. bezweckte, scheint nicht den erhofften Erfolg gehabt zu haben; denn in einigen Kolonien nimmt die Einfuhr von Jahr zu Jahr zu. Das Verbot der sogenannten "alcools de traite" (trade spirits), die für die Eingeborenen bestimmt sind, hatte kaum eine Wirkung, weil man keine von allen angenommene Definition dieser Getränke finden kann. Auch scheint das Verbot der Branntweinherstelltung in den Kolonien selbst nicht überall streng durchgeführt zu werden.
Nicht nur die Missionare und die Freunde der Eingeborenen sind über diese Zustände ungehalten. Die aufgeklärtesten unter den Schwarzen selbst lassen ihren Protest hören und verlangen nach Schutzmassnahmen. Das internationale Bureau zum Schutz der Eingeborenen, in Genf, beschloss; sich mit der Frage zu befassen und gedenkt, die Kolonialregierungen zu ersuchen, die Möglichkeit einer Revision der Vereinbarung von St. Germain-en-Laye zu prüfen, damit sie den gegenwärtigen Zuständen besser entspreche.
Eine neue und einflussreiche Stimme hat sich hören lassen, diejenige von Kardinal van Ross, Präfekt der Propaganda in Rom. Hier ein Schreiben, das er an die Internationale Katholische Liga gegen Alkoholismus richtete als Antwort auf die Zusendung einer Broschüre "Alkoholismus und Mission". "Vor einigen Tagen erhielten wir die Broschüre "Alkoholismus und Mission". Die Lektüre dieser Schrift hat uns aufs neue überzeugt, dass der Kampf gegen den Alkohol nicht nur in der Heimat und in den zivilisierten Ländern, sondern vielleicht noch mehr in den Missionen mit aller Kraft angepackt und durchgeführt werden muss... Es muss ein richtiger Kreuzzug werden, an dem alle Missionare teilnehmen.
(INTERNATIONALES BUREAU GEGEN DEN ALKOHOLISMUS, Presse-Mitteilung No 3, Lausanne (Schweiz), Den 5. März 1930)
Lagos, Nigeria 1911
Cotton goods are the most important of the imports, spirits coming next, followed by building material, haberdashery and hardware and tobacco. Over 90% of the cotton goods are imported from Great Britain, whilst nearly the same proportion of the spirit imports come from Germany. Nearly all the liquors consist of " Trade Spirits," chiefly gin, rum and a concoction called " alcohol," introduced (1901) to meet the growing taste of the people for stronger liquor. This stuff contained 90% of pure alcohol and sometimes over 4% of fusel oil. To hinder the sale of this noxious compound legislation was passed in 1903 prohibiting the import of liquor containing more than PA, of fusel oil, whilst the states of Abeokuta and Ibadan prohibited the importation of liquor stronger than proof (57.15% ethanol). The total trade of the country in 1905 was valued at £ 2,224,754, the imports slightly exceeding the exports. There is a large transit trade with Dahomey.
(1911 Edition of the Encyclopaedia Britannica)

11In der Volksabstimmung vom 3. Juni 1923 wird die Revision der Alkoholartikel der Bundesverfassung verworfen. Die Revision scheitert am Widerstand der Bauern und Wirte, angeblich waren diese zu wenig gut in die Vorbereitung integriert und die Bevölkerung zu schlecht informiert worden. Die Revision wollte die Kontrolle und Besteuerung auf die ganze einheimische Produktion/Brennerei übertragen. Alle privaten Brenner müssten von der EAV die Befugnis dazu erhalten und ihre Produktion derselben übergeben. Die Revision wollte 20% für Prävention, also einen "Alkoholfünftel“.

In der Volksabstimmung vom 12. Mai 1929 wird die Initiative zur Einführung des Gemeindebestimmungsrechtes (Branntweinverbot-Initiative) verworfen. Die Initiative sollte den Branntwein nicht landesweit verbieten, sondern den Gemeinden das Recht
einräumen, selber zu entscheiden.

12In der Volksabstimmung vom 6. April 1930 wird die Revision der Alkoholartikel der Bundesverfassung angenommen. Grund zur Revision bestand in der unbeschränkten Freiheit des Obst- und Weinbrennens, die 1885 ausser Acht gelassen worden war, weil von geringer Bedeutung. Erst Ende des 19. Jhts. und anfangs des 20. Jhts. nahm die Entwicklung des Mostobstbaues und der Mosterei zu. Neu wurde also der Obst- und Wein-Branntweinreglementiert.

In der Volksabstimmung vom 9. März 1941 wurde die Volksinitiative "Neuordnung des Alkoholwesens" (REVAL-Initiative) abgelehnt. Sie verlangte die Revision der Bundesverfassung im Sinne der Wiederherstellung des vor dem 6. April 1930 bestehenden Zustandes.


Bundesamt für Gesundheit: Liste politischer Geschäfte im Alkoholbereich, historischer Kommentar mit Volltext aller Botschaften des Bundesrates
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Gegen das überhandnehmende Brantweintrinken - "das nütnutzige Branntewytreihe oder Brönzsuuffe", ein berndeutscher Vortrag von 1845 empfiehlt "Die Branntweinpest" von Zschokke zur Lektüre.

Sehr lesenswert ist auch: Meister Schnaps schreibt Schweizergeschichte von Ralph Bircher, erschienen 1938 im "Wendepunkt".

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