Fernsehen und Alkoholreklame
Kurzreferat
von Dr. W. Schmid, Leiter der Schweizerischen Zentralstelle gegen den
Alkoholismus, Lausanne, anlässlich des 27. Internationalen Kongresses
"Alkohol und Alkoholismus" 1964 in Frankfurt am Main
Die eindrückliche
Schrift "Kinder sehen fern" der deutschen Bundesarbeitstelle
"Aktion Jugendschutz" berichtet von einer in westdeutschen Schulen
vorgenommenen Untersuchung über die Wirkungen des Werbeprogramms
wie folgt: "Die Kinder der Unterstufe können den Spielhandlungen
noch nicht ununterbrochen folgen. Ihrem Entwicklungsstand entspricht mehr
der prägnante Werbeslogan, der dann allerdings selbst von Achtjährigen
bis in die kleinsten Einzelheiten dargestellt wird. Die Zahl der den Kindern
bekannten Werbefilme ist Überaus gross. Zigaretten und Alkoholmarken
sind vielen Kindern ebenso bekannt wie die verschiedensten Parfüms
und Waschpulver, wie Kopfschmerztabletten und Haushaltsgeräte."
Das schweizerische
Fernsehen hat bis heute auf die grossen finanziellen Einnahmen, welche
die Werbung ihm gebracht hätte, verzichtet, trotzdem es mit viel
kleineren Mitteln nicht nur in einer, sondern in drei Landessprachen senden
muss. Die Konkurrenzierung der schweizerischen Wirtschaft durch das in
der Schweiz stark beachtete deutsche Werbefernsehen und die Verlockung
vermehrter Einnahmen führten dazu, dass ab 1965 die Fernsehreklame
in ähnlicher Art wie in Deutschland auch in der Schweiz ihren Einzug
halten wird. Einer der wichtigsten Unterschiede aber wird darin bestehen,
dass entsprechend der vom schweizerischen Bundesrat erteilten Konzession
jegliche Reklame für alkoholische Getränke, für
Tabakwaren und für Medikamente ausgeschlossen sein wird.
Dass dieser
Erfolg der um das öffentliche Wohl und den Jugendschutz besorgten
Kreise in einem Lande, das sich zur freien Marktwirtschaft bekennt, keine
Selbstverständlichkeit bedeutet und auch in Zukunft weiterhin verteidigt
worden muss, braucht sicher keiner Erklärung. Das Alkohol , das Tabak
und nicht zuletzt das Reklamegewerbe sind auch in der Schweiz ausserordentlich
stark und einflussreich, und noch vor zwei Jahren erachteten führende
Politiker ein Fernsehreklameverbot für diese Produkte als eine wohl
idealistische, aber völlig unrealistische Utopie.
Das Ziel meines
Kurzreferates besteht deshalb darin, Ihnen einen kleinen Einblick in die
Kampagne zu geben, die zum erwähnten Erfolg führte, und zu zeigen,
wie wichtig es für die Verteidigung dieses Erfolges sein wird, wenn
der gleichen Forderung des Jugendschutzes auch in anderen Ländern
und insbesondere in der deutschen Bundesrepublik Rechnung getragen wird.
Die Kampagne
in der Schweiz dauerte zwei Jahre und wurde ausgelöst durch Eingaben
der Schweizerischen Zentralstelle gegen den Alkoholismus an die Fernsehkommissionen
der drei Landeskirchen, an die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft,
an die Verbindung der Schweizer Aerzte, an den Schweizerischen Lehrerverein,
an den Bund schweizerischer Frauenvereine und an weitere am öffentlichen
Wohl interessierte Organisationen und Institutionen. Anhand von anerkannten
Autoren und von Erhebungen wurde auf die zunehmende Gefährdung der
Jugend durch alkoholische Getränke hingewiesen, und im Interesse
einer möglichst breiten Gemeinschaftsfront wurde das Verbot der Fernsehreklame
nicht nur für alkoholische Getränke, sondern auch für Tabakwaren
und für Medikamente angestrebt. Das Verbot der Medikamentenreklame
entsprach besonderen Anliegen der Aerzteschaft und der Frauenorganisationen,
während sich Lehrerschaft und Kreise des militärischen Vorunterrichtes
in besonderem Masse für die Miteinbeziehung der Zigarettenreklame
einsetzten. Zusammen mit den kirchlichen Organisationen setzten sie sich
von Anfang an entschieden für die erwähnten Forderungen ein,
während in anderen Institutionen sich Widerstände meldeten,
deren Argumente in Aussprachen, Konferenzen oder Presseartikeln widerlegt
werden mussten.
Welches waren
die wichtigsten Gegenargumente, die wir zu widerlegen hatten?
1. "Unsere
Jugend reagiert negativ auf Verbote." Dabei wird mit diesem Verbot
keineswegs der Jugend etwas verboten, sondern jenen sehr kapitalkräftigen
Unternehmungen, die nicht ganz ungefährliche Produkte auf den Markt
bringen:
2. "Dieses
Verbot würde die einheimischen Weine und Rebbauern schädigen."
Erhebungen zeigen jedoch, dass in erster Linie für die alkoholischen
Konkurrenzprodukte der einheimischen Weine eine starke Reklametätigkeit
entfaltet wird: Spirituosen, Apéritifs, Bier und ausländische
Weine. Das erwähnte Verbot bedeutet deshalb einen Schutz für
die einheimischen Weine, da in der Schweiz im Gegensatz zu grossen Weinbaustaaten
keine staatlichen Beiträge für Weinreklame ausgerichtet werden
dürfen.
3. "Der
Verantwortungsbereich der zuständigen Kontrollkommission für
Fernsehreklame würde eingeschränkt." Dieser Einwand könnte
gegen sämtliche Gesetze und Reglemente vorgebracht werden. Eine Kontrollkommission,
die jede Alkohol-, Zigaretten- und Medikamentenreklame auf ihre Schädlichkeit
hin überprüfen müsste, wäre keineswegs zu beneiden.
Die Verbindung der Schweizer Aerzte hat deshalb in ihrer Eingabe an das
Eidg. Departement des Innern zu diesem Punkt wie folgt Stellung genommen:
"Ausdrücklich wird damit auch jede beschränkte Reklame
abgelehnt, da selbst eine noch so zurückhaltend formulierte und noch
so sorgfältig überprüfte Reklame eine Aufforderung zum
Bezug des Produktes bleibt."
4. "Das
Verbot brächte dem Fernsehen einen schwerwiegenden Einnahmenausfall."
Darauf antwortete die Schweizer Aerzteschaft: "Die finanziellen Auswirkungen
des Alkoholmissbrauches und des übermässigen Medikamentenkonsums
würden ein Vielfaches der erhofften Einnahmen des Fernsehens aus
der Reklame ausmachen, weil weniger die Kosten der Behandlung der geschädigten
Personen als vielmehr die Wiedergutmachung der indirekten Schäden
(beruflicher Zusammenbruch einzelner Auseinanderfallen ganzer Familien,
Verwahrlosung der Jugend) ins Gewicht fallen würde." Zudem zeigt
es sich, dass es z.B. dem deutschen Fernsehen nicht möglich ist,
sämtliche Interessenten für Reklame zu berücksichtigen.
5. "Die Fernsehreklame ist nicht schädlicher als Zeitungs oder
Plakatreklame." Vor allem im Unterschied zur Reklame in Zeitungen
kann Fernsehreklame nicht überblättert werden und wird besonders
von der Jugend unter 14 Jahren beachtet. Dabei handelt es sich um eine
unbewusste Beeinflussung nicht im Hinblick auf die Gegenwart, sondern
zur Gewinnung zukünftiger Konsumenten. Die Soziale Studienkommission
des Schweiz. Reformierten Pfarrvereins hat in ihrer Eingabe an den Bundesrat
dazu wie folgt Stellung genommen: "Da die Reklame vielfach die Tendenz
hat, sich auf Kosten des Schwächeren, am Fernsehen vor allem auf
Kosten des bekanntlich besonders intensiv beteiligten Kindes, auszuwirken,
sind klare gesetzliche Einschränkungen unerlässlich."
6. "Dieses
Reklameverbot würde eine Diskreditierung der in den entsprechenden
Branchen tätigen Berufsleute bedeuten." Produktion und Handel
mit mehr oder weniger gefährlichen Genussmitteln und Medikamenten
waren jedoch schon bisher zahlreichen gesetzlichen Einschränkungen
unterworfen. So besteht in der Schweiz seit langem ein Verbot für
Alkoholreklame, die sich an Minderjährige richtet, und dessen sinngemässe
Ausweitung führt zum Verbot der Alkoholreklame im Fernsehen. Wenn
giftige Flüssigkeiten nur in besonderen Flaschen oder wenn Morphium
nur an Aerzte abgegeben werden darf, so sind die mit deren Herstellung
und Verkauf beschäftigten Berufsleute deswegen keineswegs weniger
ehrbar und geachtet. Die gesetzlichen Schutzbestimmungen bedeuten im Gegenteil
einen Schutz für ihre Berufsehre.
7. "Die
Reklame bringt nicht eine Konsumvermehrung, sondern nur eine Verlagerung
unter den verschiedenen Marken desselben Produktes." Dazu ist zu
sagen, dass die Schweizer Brauereien z.B. keine individuelle Markenreklame
mehr betreiben, sondern in einer sehr wirksamen Kollektivreklame für
das Bier allgemein werben und dadurch die alkoholfreien Erfrischungsgetränke
konkurrenzieren. Ueberhaupt werben Alkoholreklamen gewöhnlich nicht
für die spezifisch alkoholischen Eigenschaften ihrer Produkte, sondern
meist für die Befriedigung von mehr oder weniger unbewussten seelischen
Bedürfnissen. So wies ein Arzt in der "Neuen Zürcher Zeitung"
auf jene Cognac-Reklame hin, welche in Verbindung mit einer eindrücklichen
Napoleon Darstellung Branntwein, Führergestalt und französischen
Geist zusammenbringt, und er schrieb sehr richtig dazu: "Wenn es
dem naiven Fernseher auch sonst an napoleonischer Grösse und Gallizismus
fehlt, so kann er sich doch wenigstens beim Spirituosenhändler etwas
von dem komplexen, glanzvollen Leitbild in Realität verschaffen."
Diese Alkoholreklame konkurrenziert deshalb nicht nur andere Schnäpse,
sondern auch geistige Förderung durch Lektüre, durch Film oder
Theaterbesuch oder durch Reisen.
Die Reihe der
Einwände liesse sich leicht noch fortsetzen und zeigt, wie erfindungsreich
die Menschen sind, wenn es gilt, materielle Interessen möglichst
ideell zu verteidigen. Glücklicherweise lagen die rein materiellen
Interessen nicht nur auf einer Seite, indem die erhobene Forderung aus
leicht verständlichen Gründen auch der wohlwollenden Neutralität
der Zeitungsverleger begegnete und die befürwortenden Artikel in
der Presse meist bereitwillig Aufnahme fanden.
Sehr wichtig
für die Kampagne war ein gleichgerichteter parlamentarischer Vorstoss,
der von 27 Nationalräten aus allen Fraktionen unterzeichnet war,
sowie drei von Bundesbehörden einberufene Konferenzen. Zur ersten
Konferenz lud die Eidg. Kommission gegen den Alkoholismus die interessierten
gemeinnützigen Organisationen ein. Kurz vor der definitiven Beschlussfassung
lud der Bundespräsident die wirtschaftlich interessierten und die
ideell interessierten Kreise zu zwei getrennten Sitzungen ein. Die einhellige
Befürwortung des erstrebten Verbotes durch die ärztlichen, pädagogischen,
kirchlichen und gemeinnützigen Organisationen wobei besonders das
Votum des Präsidenten der schweizerischen Aerzteschaft grosse Beachtung
fand und eine eindrückliche Unterstützung des gleichen Standpunktes
durch einen ärztlichen Beitrag in der wichtigsten schweizerischen
Tageszeitung führten zum anfangs bekanntgegebenen, nicht alltäglichen
Entscheid des schweizerischen Bundesrates, der für sehr viele Kreise
eine grosse Ueberraschung bedeutete und der in der Oeffentlichkeit viele
zustimmende und dankbare Reaktionen auslöste.
Ein Gegenargument
aber wurde in diesem Vortrag noch nicht erwähnt. Dieses Gegenargument
wird auch weiterhin ins Feld geführt werden, um den erwähnten
Beschluss wieder zu bekämpfen, wenn 1967 die gesamte schweizerische
Fernsehkonzession erneuert werden muss. Dieses Gegenargument besteht im
Hinweis auf die Alkohol-, Tabak- und Medikamentenreklame im deutschen
Fernsehen. Es trifft zu, dass das deutsche Fernsehen und damit auch die
deutsche Fernsehreklame in der Schweiz grosse Beachtung findet. Wenn deshalb
von einer Diskriminierung der schweizerischen Alkohol-, Tabak- und Pharmazeutika-
Industrie gesprochen wird, so ist dieses Argument nicht ohne Bedeutung,
obschon anderseits darauf hingewiesen werden kann, dass die Fernsehreklame
vor allem von den besonders kapitalkräftigen internationalen Firmen
benützt wird.
Angesichts
der Ueberwindung nationaler Grenzen durch die sog. Massenmedien scheint
es uns deshalb sehr wichtig, dass wir uns nicht nur mit einer "Integration
der gefährlichen Einflüsse" abfinden, sondern dass wir
uns auch aktiv für eine Integration von schützenden Massnahmen
einsetzen.
Wir freuen
uns lieber wertvolle diesbezügliche Ansatzpunkte auch im deutschen
Fernsehen, wie z.B. Art. 10 des Staatsvertrages über die Errichtung
des "Zweiten Deutschen Fernsehen" vom 6. Juni 1964, welcher
Sendungen, die die Erziehung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen,
vor abends 21.00 Uhr verbietet, oder den neuen Gesetzesentwurf über
die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens, welcher in Art. 4 auch die
Medikamentenwerbung im Fernsehen verbieten möchte. Ganz besonders
aber hoffen wir, dass es unseren deutschen Freunden in naher Zukunft gelingen
möge, unter Berücksichtigung des Jugendschutzes ihre bereits
aufgestellte Forderung auf ein Verbot der Alkoholreklame im deutschen
Fernsehen zu verwirklichen, und wir danken ihnen, besonders auch vom schweizerischen
Standpunkt aus, für alle ihre Bemühungen zur Erreichung dieses
Zieles.
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