Keine Alkoholreklame im Fernsehen
Keine Werbung für Alkohol, Tabak und Medikamente in Radio und Fernsehen


Um die Alkoholreklame im Fernsehen, Pressemeldung 1964 - Eingabe an den Bundesrat, 1963 - Fernsehen und Alkoholreklame, Referat 1964 - Weisungen zur Fernsehreklame 1964 - Werbung und Alkoholkonsum, Studie 2004

Parlamentarisches Dossier zur Revision 2000/2005
Chronologie mit Links auf der Seite der SFA

Sozialpolitische Umschau
Um die Alkoholreklame im Werbefernsehen
Schweizerische Krankenkassen-Zeitung, Nr.15/16 / 16/8/1964


Mit seinem Beschluss vom 24. April 1964 hat der Bundesrat die Konzession für die Fernsehwerbung erteilt, gleichzeitig aber jede Fernsehreklame für alkoholische Getränke, Tabak und Medikamente ausgeschlossen. Es war vorauszusehen, dass dieser mutige Entscheid zwar von vielen Kreisen dankbar begrüsst, gleichzeitig aber auch auf den Widerstand einzelner finanzieller Interessengruppen stossen würde. Über zwei Eingaben an den Bundesrat aus der Alkoholbranche ist die Öffentlichkeit in letzter Zeit informiert worden:

Die Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Getränkebranche vertritt die Auffassung, dass alle am Markt zugelassenen Produkte auch bei diesem neuen Werbeträger gleich zu behandeln seien. Deshalb wird der Bundesrat aufgefordert, die Reklamefreiheit ebenso wie die Pressefreiheit zu gewährleisten und den diskriminierenden Passus in der Konzession zu streichen. Ferner wird der Bundesrat gebeten, »dafür zu sorgen, dass die zukünftigen Auftraggeber, welche das Fernsehen zu einem grossen Teil finanzieren sollen, in der AG für Werbefernsehen und demzufolge auch in deren Verwaltungsrat entsprechend ihrer Bedeutung vertreten sind«.
Der Arbeitsgemeinschaft gehören an: Schweizerischer Bierbrauer Verein, Schweizer Obstverband, Schweizerischer Weinhändlerverband, Gesellschaft für die Einkellerung von Schweizer Weinen, Westschweizerischer Winzerverband, Verband Schweizerischer Mineralquellen, Verband Schweizerischer Süssgetränke Fabrikanten sowie VOLG, Provins, einzelne Weinimporteure und nicht dem Verband angeschlossene Mineralquellen. Wer darob stutzt, dass Mineralquellenbesitzer und Süssgetränkefabrikanten sich gegen das Verbot der Alkoholreklame im Fernsehen wenden, sei an die Tatsache erinnert, dass es auf der Produzentenseite nicht zwei getrennte Lager gibt, sondern dass die personellen und kapitalmässigen Verflechtungen zwischen den Sektoren stark genug sind, um diese Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft zu bedingen. Trotzdem wirken an dieser Eingabe die völlige Ausserachtlassung des Umstandes, dass es sich beim Werbefernsehen um einen Werbeträger eigener Art handelt, die Konstruktion einer höchst problematischen Parallele zwischen Pressefreiheit und Reklamefreiheit und schliesslich die Forderung, dass die kapitalkräftigsten Kunden die »AG für Werbefernsehen« sollten beherrschen können, durch diese Mitunterzeichnung womöglich noch peinlicher.

Als ebenso peinlich empfindet man es, dass die zweite Eingabe ausgerechnet im Namen der schweizerischen Rebbauern erfolgt. Die »Fédération romande des Vignerons« und die »Société des Encaveurs de Vins suisses« werfen dem Bundesrat vor, die Bestimmungen des Landwirtschaftsgesetzes vom 3.Oktober 1951 und des Weinstatuts (Rebbaustatuts) vom 18. Dezember 1953 zu missachten.

Die Ständige Kommission der Delegiertenkonferenz der schweizerischen alkoholgegnerischen Vereinigungen hat in einem Schreiben an den Bundesrat dazu wie folgt Stellung genommen:
»1. Die Behauptung, dass der Fernsehbeschluss des Bundesrates im Widerspruch zum Landwirtschaftsgesetz und zum Rebbaustatut stehe, ist unbegründet. Das Landwirtschaftsgesetz sieht im Gegensatz zur Förderung der alkoholfreien Traubenverwertung bewusst von einer direkten Förderung des Weinabsatzes ab und beschränkt sich beim Wein auf die Förderung der Qualitätsproduktion. Nur im Falle von drohenden Preiszusammenbrüchen sind befristete Einzelaktionen möglich, sofern dieselben im allgemeinen Interesse liegen. Der Bundesrat hat sich jedoch in Übereinstimmung mit den führenden ärztlichen, pädagogischen, kirchlichen und gemeinnützigen Organisationen unseres Landes unter Einschluss der Weinbaukantone dafür entschieden, dass die Zulassung von Fernsehreklame für alkoholische Getränke, Tabak und Medikamente dem Allgemeininteresse zuwiderlaufen würde.
2. Beim Vergleich der verschiedenen Getränke muss berücksichtigt werden, dass im Gegensatz zum Wein alle alkoholfreien Getränke den Vorteil haben, dass ihr Genuss nicht die Gehirnfunktionen beeinträchtigt und damit um nur eine Folge zu erwähnen nicht zu zahlreichen Verkehrs und Arbeitsunfällen führt.
3. Die Behauptung, dass der Fernsehbeschluss des Bundesrates die Interessen des schweizerischen Weinbaus schädige, wird in Frage gestellt durch die Tatsache, dass die Reklamebudgets der alkoholischen Konkurrenzprodukte des Schweizerweins, wie Spirituosen, Apéritifs, Bier und ausländische Weine viel grösser sind, was durch das Musterbeispiel der kostspieligen Reklame internationaler Alkoholfirmen im Rahmen der Expo 64 deutlich belegt wird. Der Ausschluss jeglicher Alkoholreklame aus dem Fernsehen kann insofern auch als Schutzmassnahme zugunsten des einheimischen Weinbaus beurteilt werden.
4. Im Hinblick auf einen Vorstoss, hinter welchem nicht bloss Interessen des einheimischen Weinbaus stehen dürften, erachtet es die Ständige Kommission der Delegiertenkonferenz der schweizerischen alkoholgegnerischen Vereinigungen als richtig, dem Bundesrat für seinen wertvollen Entscheid, welcher den Interessen der Volksgesundheit und insbesondere einer gesunden Jugend entspricht, auch ihrerseits sehr zu danken.«

Diesem Dank dürfen sich die schweizerischen Krankenkassen anschliessen. Sie unterstützten die Bestrebungen, die zu dieser Regelung führten, von Anfang an, weil auch sie in dieser Sache Interessen zu vertreten haben, die allerdings denjenigen der Alkoholproduzenten diametral entgegengesetzt sind. Denn obwohl aus Kreisen der Fürsorger, welche immer wieder vor der schwierigen Aufgabe der Mittelbeschaffung zur Behandlung Alkoholkranker stehen, oft der Vorwurf erhoben wird, die Krankenkassen täten zu wenig auf diesem Gebiet, so führt doch dieses »Wenige« zusammen mit den finanziellen Folgen der vielgestaltigen Gesundheitsschädigungen durch Alkoholismus zu einer schweren Belastung der Kassen. Wer Einblick hat in das unermessliche Leid, das durch den Alkohol über viele Familien kommt, und wer die beunruhigende Zunahme des Alkoholmissbrauchs besonders unter Jugendlichen verfolgt, kann nur hoff en, dass der Bundesrat in dieser Frage festbleibt und eine Reklameart von unseren Wohnstuben fernhält, die gerade dort zur eigentlichen Versuchung werden müsste.

DELEGIERTENKONFERENZ
DER SCHWEIZERISCHEN ALKOHOLGEGNERISCHEN VEREINIGUNGEN

Ständige Kommission
Adresse:
Case 29
Lausanne 13

Schaffhausen und Lausanne,14. Oktober 1963

Herrn Bundespräsident Dr. W. Spühler,
Vorsteher des Eidg. Verkehrs und Energie-
wirtschaftsdepartementes
B e r n

Betrifft Alkoholreklame im Fernsehen

Hochgeehrter Herr Bundespräsident,

Wir sind Ihnen sehr dankbar für die anlässlich der Beantwortung der Interpellation von Nationalrat Sauser erteilte Zusicherung, dass die zahlreichen Eingaben zugunsten eines Verbotes der Fernsehreklame Ihre Sympathie finden und dass bei deren Prüfung nicht der rein kommerzielle Standpunkt massgebend sein kann.
Durch die Presse erhalten wir Kenntnis von Eingaben, welche der Schweizerische Weinhändlerverband(Importeure), die Schweizerische Vereinigung der Weineinkellerer und die Fédération romande des vignerons zugunsten der Zulassung von Weinreklame in der Fernsehwerbung an verschiedene zuständige Instanzen und damit auch an Sie gerichtet haben. Wir erlauben uns, Ihnen dazu folgende Ueberlegungen mitzuteilen:

1.Ist eine Beschränkung der Fernsehreklame auf Schweizerwein
möglich und wird eine solche Beschränkung überhaupt aufrichtig angestrebt?

Die Antwort erteilt der Redaktor von "La Terre Vaudoise" (21. September 1963), indem er schrieb:

"Inutile de songer à une publicité individuelle à la télévision pour les vins vaudois, valaisans, neuchâtelois ou genevois, par exemple. L'opération serait trcp onéreuse (on parle de 6000 à 7000 francs la minute!). C'est indiscutablement la cause du vin, élément majeur du patrimoine suisse, qu'il faudra défendre, en démontrant que le vin est certainement la boisson la plus attachante que l'homme ait su tirer de la nature, celle qui répond le mieux à son goût profond et à ses besoins formels."

Auch nach Ansicht von welschen Männern des Weinbaus kann es sich somit bei der Fernsehwerbung nur um eine allgemeine Weinreklame handeln, welche der einst von Bundesrat Minger erteilten Wegleitung zur ersten Schweizerweinkampagne genau entgegenlaufen würde. Bundesrat Minger erklärte damals, dass diese Werbung nicht das Schweizervolk zu vermehrtem Trinken animieren, sondern sich einzig an die Solidarität der Schweizer Weintrinker mit den einheimischen Weinbauern wenden dürfe.

2. Liegt die Zulassung einer allgemeinen Wein und Bierreklame
am Fernsehen im Interesse der Schweizer Winzer?

Eine solche allgemeine Weinreklame würde den Druck, den die bei gleicher Qualität billigeren Fremdweine heute auf den Absatz der Schweizerweine ausüben, keineswegs vermindern. Bei einer Assozierung der Schweiz an die EWG, welche die grössten Weinexportstaaten umfasst, müsste ein gleiches Recht der Reklame für ihre Weine auch den assoziierten Staaten gewährt werden, die wie Frankreich mit staatlichen Mitteln arbeitende Organisationen zur Förderung des Absatzes ihrer Weine besitzen.

Dazu kommt, dass die Zulassung von Weinreklame automatisch auch eine Zulassung der Bierreklame bedingt. Denn auch das Bier ist ein "produit issu par fermentation naturelle", um ein Argument der welschen Eingabe anzuführen, und es enthält weniger Alkohol als Wein, so dass ein Verbot der Bierreklame bei Zulassung allgemeiner Weinreklame vom hygienischen Standpunkt aus als ein Unsinn erscheinen müsste.

3. Dient der Wein der Volksgesundheit?

Die Befürworter der Weinreklame im Fernsehen, unter denen die Weinimporteure die initiative Gruppe sein dürften, kümmern sich gewiss nicht um die Volksgesundheit. Sonst wüssten sich z. B., dass der von ihnen zitierte Prof. Dr. H. Kliewe, Mainz, energisch gegen eine verzerrte Darstellung eines von ihm gehaltenen Vortrages durch die Presse protestiert und dass er dabei eingehend auch auf die gesundheitlichen Gefahren des Weingenusses aufmerksam gemacht hat.

Unverständlich ist es, dass sie wider besseres Wissen in irreführendem Sinne einen Ausspruch von Pasteur zitieren, gegen dessen Verwendung durch die Weinhändler einst der älteste Schüler Pasteurs, Dr. Emile Roux, Direktor des Pasteur Institutes, und noch vor wenigen Jahren der Enkel Pasteurs, Prof. Dr. med. Louis Pasteur Vallery Radot, in der Académie de Médecine de France in feierlicher Weise protestiert haben.

Was die auf Initiative von Weinhandelskreisen hin gegründeten "Médecins amis du vin" (Prof. Portmann Bordeaux u.a.) betrifft, so schrieb der Altmeister der inneren Medizin des Welschlandes, Prof. Dr. M. Roch, Genf, im Vorwort zur 2. Ausgabe seines Standardwerkes "L'alcoolisme et son rôle en pathologie interne":

"Je me garde bien de recommander l'usage quotidien des boissons alcooliques comme le font ces malfaisante 'médecins amis du vin' qui ne veulent pas se rendre compte de la manière dont sont interprétées, dans la plupart des milieux, les conclusions qu'ils proclament ä la fin de leurs fâcheux congrès, conclusions reprises et amplifiées par les producteurs et les commerçants intéressés à la vente de leurs produits."

4. Sind die gegorenen Getränke weniger schädlich als die gebrannten Getränke?

Eine vor wenigen Jahren unter ärztlicher Leitung im Kt. Wallis durchgeführte Erhebung hat ergeben, dass von 615 alkoholkranken Männern und Frauen 380 ausschliesslich Wein tranken, während nur bei den besonders schweren Alkoholikern in grösserer Zahl der Spirituosenkonsum dazu kam. Die gleiche Erhebung ergab, dass in den betreffenden Gemeinden insgesamt 12,8 Prozent der Männer und 1,3 Prozent der Frauen über 20 Jahren alkoholkrank waren.

Erhebungen der Zürcher Fürsorgestelle für Alkoholgefährdete zeigen in ähnlichem Sinne die grosse Bedeutung des Bierkonsums für die Entstehung des Alkoholismus.

Schlussfolgerung

Eine Zulassung der Fernsehwerbung für Wein und Bierreklame wäre ein schwerer Schlag gegen alle Bemühungen, die Gesundheit des Schweizervolkes und seiner Jugend zu fördern.

Den Interessen des schweizerischen Rebberges kann viel zweckmässiger gedient werden durch Programmsendungen, wie sie schon bisher stattfanden: Wanderungen durch unsere Rebbaugebiete, Ernteaufnahmen, Winzerfeste usw. Diese nichtkommerzielle Werbung würde sich wie Bundesrat Minger dies wollte an das Solidaritätsgefühl der Weinkonsumenten gegenüber den einheimischen Rebbauern wenden.

In der Ueberzeugung, dass Sie in Ihrem Entscheid über die Fernsehreklame diesen Tatsachen Rechnung tragen werden, versichern wir Sie, hochgeehrter Herr Bundespräsident, unserer vorzüglichen Wertschätzung.

DELEGIERTENKONFERENZ
DER SCHWEIZERISCHEN ALKOHOLGEGNERISCHEN VEREINIGUNGEN
Ständige Kommission
der Präsident:
gez. Dr. R. Joos
der Sekretär:
gez. Dr. W. Schmid

WEISUNGEN DES BUNDESRATES ÜBER DIE FERNSEHREKLAME
(Vom 24. April 1964)

Der Bundesrat erteilt der Schweizerischen Radio und Fernsehgesellschaft (SRG) das ausschliessliche Recht, Fernsehwerbung gemäss seinen folgenden Weisungen und entsprechend Artikel 10 der «Konzession für die Benützung der Fernsehsende und übertragungsanlagen der schweizerischen Post , Telegraphen und Telephonverwaltung zur Verbreitung von Fernsehprogrammen» auszustrahlen.
...
3. Zulässige und unzulässige Werbung
...
b. An Sonntagen und allgemeinen Feiertagen werden keine Werbesendungen ausgestrahlt.
...
h. Reklame für alkoholische Getränke, Tabakwaren und Heilmittel ist unzulässig.


Fernsehen und Alkoholreklame

Kurzreferat von Dr. W. Schmid, Leiter der Schweizerischen Zentralstelle gegen den Alkoholismus, Lausanne, anlässlich des 27. Internationalen Kongresses "Alkohol und Alkoholismus" 1964 in Frankfurt am Main

Die eindrückliche Schrift "Kinder sehen fern" der deutschen Bundesarbeitstelle "Aktion Jugendschutz" berichtet von einer in westdeutschen Schulen vorgenommenen Untersuchung über die Wirkungen des Werbeprogramms wie folgt: "Die Kinder der Unterstufe können den Spielhandlungen noch nicht ununterbrochen folgen. Ihrem Entwicklungsstand entspricht mehr der prägnante Werbeslogan, der dann allerdings selbst von Achtjährigen bis in die kleinsten Einzelheiten dargestellt wird. Die Zahl der den Kindern bekannten Werbefilme ist Überaus gross. Zigaretten und Alkoholmarken sind vielen Kindern ebenso bekannt wie die verschiedensten Parfüms und Waschpulver, wie Kopfschmerztabletten und Haushaltsgeräte."

Das schweizerische Fernsehen hat bis heute auf die grossen finanziellen Einnahmen, welche die Werbung ihm gebracht hätte, verzichtet, trotzdem es mit viel kleineren Mitteln nicht nur in einer, sondern in drei Landessprachen senden muss. Die Konkurrenzierung der schweizerischen Wirtschaft durch das in der Schweiz stark beachtete deutsche Werbefernsehen und die Verlockung vermehrter Einnahmen führten dazu, dass ab 1965 die Fernsehreklame in ähnlicher Art wie in Deutschland auch in der Schweiz ihren Einzug halten wird. Einer der wichtigsten Unterschiede aber wird darin bestehen, dass entsprechend der vom schweizerischen Bundesrat erteilten Konzession jegliche Reklame für alkoholische Getränke, für Tabakwaren und für Medikamente ausgeschlossen sein wird.

Dass dieser Erfolg der um das öffentliche Wohl und den Jugendschutz besorgten Kreise in einem Lande, das sich zur freien Marktwirtschaft bekennt, keine Selbstverständlichkeit bedeutet und auch in Zukunft weiterhin verteidigt worden muss, braucht sicher keiner Erklärung. Das Alkohol , das Tabak und nicht zuletzt das Reklamegewerbe sind auch in der Schweiz ausserordentlich stark und einflussreich, und noch vor zwei Jahren erachteten führende Politiker ein Fernsehreklameverbot für diese Produkte als eine wohl idealistische, aber völlig unrealistische Utopie.

Das Ziel meines Kurzreferates besteht deshalb darin, Ihnen einen kleinen Einblick in die Kampagne zu geben, die zum erwähnten Erfolg führte, und zu zeigen, wie wichtig es für die Verteidigung dieses Erfolges sein wird, wenn der gleichen Forderung des Jugendschutzes auch in anderen Ländern und insbesondere in der deutschen Bundesrepublik Rechnung getragen wird.

Die Kampagne in der Schweiz dauerte zwei Jahre und wurde ausgelöst durch Eingaben der Schweizerischen Zentralstelle gegen den Alkoholismus an die Fernsehkommissionen der drei Landeskirchen, an die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft, an die Verbindung der Schweizer Aerzte, an den Schweizerischen Lehrerverein, an den Bund schweizerischer Frauenvereine und an weitere am öffentlichen Wohl interessierte Organisationen und Institutionen. Anhand von anerkannten Autoren und von Erhebungen wurde auf die zunehmende Gefährdung der Jugend durch alkoholische Getränke hingewiesen, und im Interesse einer möglichst breiten Gemeinschaftsfront wurde das Verbot der Fernsehreklame nicht nur für alkoholische Getränke, sondern auch für Tabakwaren und für Medikamente angestrebt. Das Verbot der Medikamentenreklame entsprach besonderen Anliegen der Aerzteschaft und der Frauenorganisationen, während sich Lehrerschaft und Kreise des militärischen Vorunterrichtes in besonderem Masse für die Miteinbeziehung der Zigarettenreklame einsetzten. Zusammen mit den kirchlichen Organisationen setzten sie sich von Anfang an entschieden für die erwähnten Forderungen ein, während in anderen Institutionen sich Widerstände meldeten, deren Argumente in Aussprachen, Konferenzen oder Presseartikeln widerlegt werden mussten.

Welches waren die wichtigsten Gegenargumente, die wir zu widerlegen hatten?

1. "Unsere Jugend reagiert negativ auf Verbote." Dabei wird mit diesem Verbot keineswegs der Jugend etwas verboten, sondern jenen sehr kapitalkräftigen Unternehmungen, die nicht ganz ungefährliche Produkte auf den Markt bringen:

2. "Dieses Verbot würde die einheimischen Weine und Rebbauern schädigen." Erhebungen zeigen jedoch, dass in erster Linie für die alkoholischen Konkurrenzprodukte der einheimischen Weine eine starke Reklametätigkeit entfaltet wird: Spirituosen, Apéritifs, Bier und ausländische Weine. Das erwähnte Verbot bedeutet deshalb einen Schutz für die einheimischen Weine, da in der Schweiz im Gegensatz zu grossen Weinbaustaaten keine staatlichen Beiträge für Weinreklame ausgerichtet werden dürfen.

3. "Der Verantwortungsbereich der zuständigen Kontrollkommission für Fernsehreklame würde eingeschränkt." Dieser Einwand könnte gegen sämtliche Gesetze und Reglemente vorgebracht werden. Eine Kontrollkommission, die jede Alkohol-, Zigaretten- und Medikamentenreklame auf ihre Schädlichkeit hin überprüfen müsste, wäre keineswegs zu beneiden. Die Verbindung der Schweizer Aerzte hat deshalb in ihrer Eingabe an das Eidg. Departement des Innern zu diesem Punkt wie folgt Stellung genommen: "Ausdrücklich wird damit auch jede beschränkte Reklame abgelehnt, da selbst eine noch so zurückhaltend formulierte und noch so sorgfältig überprüfte Reklame eine Aufforderung zum Bezug des Produktes bleibt."

4. "Das Verbot brächte dem Fernsehen einen schwerwiegenden Einnahmenausfall." Darauf antwortete die Schweizer Aerzteschaft: "Die finanziellen Auswirkungen des Alkoholmissbrauches und des übermässigen Medikamentenkonsums würden ein Vielfaches der erhofften Einnahmen des Fernsehens aus der Reklame ausmachen, weil weniger die Kosten der Behandlung der geschädigten Personen als vielmehr die Wiedergutmachung der indirekten Schäden (beruflicher Zusammenbruch einzelner Auseinanderfallen ganzer Familien, Verwahrlosung der Jugend) ins Gewicht fallen würde." Zudem zeigt es sich, dass es z.B. dem deutschen Fernsehen nicht möglich ist, sämtliche Interessenten für Reklame zu berücksichtigen.

5. "Die Fernsehreklame ist nicht schädlicher als Zeitungs oder Plakatreklame." Vor allem im Unterschied zur Reklame in Zeitungen kann Fernsehreklame nicht überblättert werden und wird besonders von der Jugend unter 14 Jahren beachtet. Dabei handelt es sich um eine unbewusste Beeinflussung nicht im Hinblick auf die Gegenwart, sondern zur Gewinnung zukünftiger Konsumenten. Die Soziale Studienkommission des Schweiz. Reformierten Pfarrvereins hat in ihrer Eingabe an den Bundesrat dazu wie folgt Stellung genommen: "Da die Reklame vielfach die Tendenz hat, sich auf Kosten des Schwächeren, am Fernsehen vor allem auf Kosten des bekanntlich besonders intensiv beteiligten Kindes, auszuwirken, sind klare gesetzliche Einschränkungen unerlässlich."

6. "Dieses Reklameverbot würde eine Diskreditierung der in den entsprechenden Branchen tätigen Berufsleute bedeuten." Produktion und Handel mit mehr oder weniger gefährlichen Genussmitteln und Medikamenten waren jedoch schon bisher zahlreichen gesetzlichen Einschränkungen unterworfen. So besteht in der Schweiz seit langem ein Verbot für Alkoholreklame, die sich an Minderjährige richtet, und dessen sinngemässe Ausweitung führt zum Verbot der Alkoholreklame im Fernsehen. Wenn giftige Flüssigkeiten nur in besonderen Flaschen oder wenn Morphium nur an Aerzte abgegeben werden darf, so sind die mit deren Herstellung und Verkauf beschäftigten Berufsleute deswegen keineswegs weniger ehrbar und geachtet. Die gesetzlichen Schutzbestimmungen bedeuten im Gegenteil einen Schutz für ihre Berufsehre.

7. "Die Reklame bringt nicht eine Konsumvermehrung, sondern nur eine Verlagerung unter den verschiedenen Marken desselben Produktes." Dazu ist zu sagen, dass die Schweizer Brauereien z.B. keine individuelle Markenreklame mehr betreiben, sondern in einer sehr wirksamen Kollektivreklame für das Bier allgemein werben und dadurch die alkoholfreien Erfrischungsgetränke konkurrenzieren. Ueberhaupt werben Alkoholreklamen gewöhnlich nicht für die spezifisch alkoholischen Eigenschaften ihrer Produkte, sondern meist für die Befriedigung von mehr oder weniger unbewussten seelischen Bedürfnissen. So wies ein Arzt in der "Neuen Zürcher Zeitung" auf jene Cognac-Reklame hin, welche in Verbindung mit einer eindrücklichen Napoleon Darstellung Branntwein, Führergestalt und französischen Geist zusammenbringt, und er schrieb sehr richtig dazu: "Wenn es dem naiven Fernseher auch sonst an napoleonischer Grösse und Gallizismus fehlt, so kann er sich doch wenigstens beim Spirituosenhändler etwas von dem komplexen, glanzvollen Leitbild in Realität verschaffen." Diese Alkoholreklame konkurrenziert deshalb nicht nur andere Schnäpse, sondern auch geistige Förderung durch Lektüre, durch Film oder Theaterbesuch oder durch Reisen.

Die Reihe der Einwände liesse sich leicht noch fortsetzen und zeigt, wie erfindungsreich die Menschen sind, wenn es gilt, materielle Interessen möglichst ideell zu verteidigen. Glücklicherweise lagen die rein materiellen Interessen nicht nur auf einer Seite, indem die erhobene Forderung aus leicht verständlichen Gründen auch der wohlwollenden Neutralität der Zeitungsverleger begegnete und die befürwortenden Artikel in der Presse meist bereitwillig Aufnahme fanden.

Sehr wichtig für die Kampagne war ein gleichgerichteter parlamentarischer Vorstoss, der von 27 Nationalräten aus allen Fraktionen unterzeichnet war, sowie drei von Bundesbehörden einberufene Konferenzen. Zur ersten Konferenz lud die Eidg. Kommission gegen den Alkoholismus die interessierten gemeinnützigen Organisationen ein. Kurz vor der definitiven Beschlussfassung lud der Bundespräsident die wirtschaftlich interessierten und die ideell interessierten Kreise zu zwei getrennten Sitzungen ein. Die einhellige Befürwortung des erstrebten Verbotes durch die ärztlichen, pädagogischen, kirchlichen und gemeinnützigen Organisationen wobei besonders das Votum des Präsidenten der schweizerischen Aerzteschaft grosse Beachtung fand und eine eindrückliche Unterstützung des gleichen Standpunktes durch einen ärztlichen Beitrag in der wichtigsten schweizerischen Tageszeitung führten zum anfangs bekanntgegebenen, nicht alltäglichen Entscheid des schweizerischen Bundesrates, der für sehr viele Kreise eine grosse Ueberraschung bedeutete und der in der Oeffentlichkeit viele zustimmende und dankbare Reaktionen auslöste.

Ein Gegenargument aber wurde in diesem Vortrag noch nicht erwähnt. Dieses Gegenargument wird auch weiterhin ins Feld geführt werden, um den erwähnten Beschluss wieder zu bekämpfen, wenn 1967 die gesamte schweizerische Fernsehkonzession erneuert werden muss. Dieses Gegenargument besteht im Hinweis auf die Alkohol-, Tabak- und Medikamentenreklame im deutschen Fernsehen. Es trifft zu, dass das deutsche Fernsehen und damit auch die deutsche Fernsehreklame in der Schweiz grosse Beachtung findet. Wenn deshalb von einer Diskriminierung der schweizerischen Alkohol-, Tabak- und Pharmazeutika- Industrie gesprochen wird, so ist dieses Argument nicht ohne Bedeutung, obschon anderseits darauf hingewiesen werden kann, dass die Fernsehreklame vor allem von den besonders kapitalkräftigen internationalen Firmen benützt wird.

Angesichts der Ueberwindung nationaler Grenzen durch die sog. Massenmedien scheint es uns deshalb sehr wichtig, dass wir uns nicht nur mit einer "Integration der gefährlichen Einflüsse" abfinden, sondern dass wir uns auch aktiv für eine Integration von schützenden Massnahmen einsetzen.

Wir freuen uns lieber wertvolle diesbezügliche Ansatzpunkte auch im deutschen Fernsehen, wie z.B. Art. 10 des Staatsvertrages über die Errichtung des "Zweiten Deutschen Fernsehen" vom 6. Juni 1964, welcher Sendungen, die die Erziehung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen, vor abends 21.00 Uhr verbietet, oder den neuen Gesetzesentwurf über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens, welcher in Art. 4 auch die Medikamentenwerbung im Fernsehen verbieten möchte. Ganz besonders aber hoffen wir, dass es unseren deutschen Freunden in naher Zukunft gelingen möge, unter Berücksichtigung des Jugendschutzes ihre bereits aufgestellte Forderung auf ein Verbot der Alkoholreklame im deutschen Fernsehen zu verwirklichen, und wir danken ihnen, besonders auch vom schweizerischen Standpunkt aus, für alle ihre Bemühungen zur Erreichung dieses Zieles.

Parlamentarisches Dossier zur Revision 2000/2005

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Werbung und Alkoholkonsum

Erstens stehen Werbung und Marketing im Zusammenhang mit Alkoholkonsum und helfen bei der Rekrutierung neuer Generationen von potenziellen Alkoholkonsumenten. Die Konfrontation mit wiederholter Alkoholwerbung auf hohem Niveau kann über entsprechende soziale Normen, Erwartungen und Attitüden zum einen Konsum initiieren und zum anderen bereits bestehenden Konsum aufrecht erhalten.
Zweitens hat sich gezeigt, dass Werbeverbote mit Alkoholkonsum zusammenhängen. Im Durchschnitt kann durch Verhängung von solchen Verboten der pro-Kopf-Konsum um 5% bis 8% gesenkt werden; im gegenteiligen Fall einer Aufhebung von solchen Verboten steigt der pro-Kopf-Konsum um 5% bis 8%.
Bislang war immer nur von Konsum die Rede und nicht von alkoholbedingten Schäden. Hierzu lässt sich sagen, dass pro-Kopf-Konsum mit alkoholbedingten Schäden ceteris paribus in einem Zusammenhang steht, der durch Trinkmuster moderiert wird. Es kann also davon ausgegangen werden, dass Konsumsteigerungen, insbesondere in Ländern mit bereits überdurchschnittlichem pro-Kopf-Konsum (fast alle europäischen Länder), zu mehr alkoholbedingten Schäden sowohl im Gesundheits- wie im Sozialbereich führen.
(J. Rehm, Wissenschaftliche Grundlagen und Konsequenzen für politische Massnahmen, Januar 2004)
http://www.suchtundaids.bag.admin.ch/imperia/md/content/alkohol/34.pdf


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Beiträge zur Alkohol-Geschichte der Schweiz (Index)  
Volksabstimmungen zur Alkoholpolitik: Sechs alkoholpolitische Kraftakte

Geschichte des Beirates von SAS - SFA/ISPA 1913-1982
Schweizerischer Rat für Alkoholprobleme
1995: Wirt ist ein ganz spezieller Beruf

1987: Alkoholpolitik zwischen Wirtschaft und Gesundheit
Prof. Dr. Gustav von Bunge 1844 - 1920
"Die Alkoholfrage", Vortrag von Prof. Dr. Gustav von Bunge
Die Alkoholartikel der Bundesverfassung von 1885
Die Alkoholartikel in der Bundesverfassung Ende 1999
Die Alkoholartikel in der Bundesverfassung 2000
Prohibition – kein aktuelles Thema
Die Urheber der Volksinitiative «gegen Suchtmittelreklame»
50 Jahre Alkoholpolitik in der Schweiz (1938)
Revision des Alkoholgesetzes von 1980
Trendwende in der Alkoholpolitik
Daten zur Geschichte von SAS-SFA/ISPA
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Alkoholreklame im Werbefernsehen (1964)
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Chroniken zur schweizerischen Alkoholpolitik
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