Chronik der Alkoholpolitik

21. Jahrhundert


Inhalt:
Alkoholpoltische Rundschauen ab 2001
Ethische Grundsätze der Alkoholpolitik


Auf der ersten Seite:

Löcher in der Mauer und Silberstreif am Horizont: Ein alkoholpolitischer Überblick zum Jahrhundertwechsel - Alkoholpolitische Jahreschronik 1999/2000 - Die Staumauer der Alkoholpolitik hat ihre Löcher (8/2000) - Wogende Wellen & wechselnde Winde (1997)


Aus der Sicht eines Parlamentariers: Alkoholpolitik unter der Bundeskuppel


Alkoholpolitische Rundschau 2009

"Wer alkoholische Getränke trinkt, tut dies ohne sich selber und anderen Schaden zuzufgen." Dies ist das Ziel des Nationalen Programms Alkohol 2008-2012.

Rückwärts, Marsch!

Im Berichtsjahr wurden mehrmals Massnahmen beschlossen oder diskutiert, die einen Rückschritt bedeuten. Ob der Rückschritt negativ oder vielleicht doch positiv ist, soll der geneigte Leser entscheiden. Seit Jahrzehnten gleich geblieben ist aber die Fragen: Wie weit darf man die Freiheit aller einschränken um die Probleme einzelner zu vermeiden? Wie weit kann man bei grösserer Freiheit auch grösserer Selbstverantwortung vertrauen?

Kollateralschäden
Kollateralschäden nennt man im militärischen Jargon Schäden durch ungenauen Waffeneinsatz; bedauerlich, aber nicht vermeidbar. Nun spricht die "Weltwoche" von Alkohol-Kollateralschäden. 15 Milliarden Gesundheitskosten seien auf Alkohol zurückzuführen. Wo der Haupt-Schaden liegt, wird nicht erwähnt. Er dürfte in den Gewinnen der Alkoholwirtschaft zu finden sein. Bedauerlich, aber nicht vermeidbar?

Nützt oder schadet Prävention?
Laut " Weltwoche" seien Präventionsprogramme nutzlos. Wir meinen, die Behörden sollten einmal versuchen, griffige alkoholpolitische Massnahmen versuchen: Erhöhung der Steuern und Gebühren, Erschwerung der Erhältlichkeit, Verhinderung des allgegenwärtigen Zugangs.
Zuviel Prävention soll sogar schaden, kommentieren andere Zeitungen das Projekt eines eidgenössischen Präventions-Institutes. Wer hat das untersucht und bewiesen? Ein anderes Blatt gibt die Erklärung: "Couchepin ärgert die Wirtschaft." Also.
Wer zahlt für die Schäden? Bei Sachschäden können die Versicherungen auf den Verursacher zurckgreifen. Müssen die Krankenkassen aber immer für die in die Notaufnahme eingelieferten Koma-Trinker aufkommen?

Alkoholfreie Zonen - Alkoholfreie Zeiten
In den letzten Jahren haben sich Alkoholverkauf, Alkoholkonsum und Alkoholmissbrauch Tag und Nacht wie ein Teppich ber das ganze Land gelegt. Jetzt häufen sich Bemühungen, diesen Teppich zurück zurollen. Allerdings stossen entsprechende Vorschläge auf einen grundsätzlichen Widerspruch: Darf man die Freiheit aller einschränken, um einzelne (viele?) vor Schaden zu bewahren?

Überbordende Partykultur
Besonders Ferienorte leiden unter dieser Art von "Kultur", die von den liberalisierten Wirtschaftsgesetzen ermöglicht wurde. Diese Auswüchse nächtlichen Treibens, auf der Ebene der Gesetzgebung ermöglicht, müssen nun auf der untersten Ebene bekämpft werden: Türsteher, private Sicherheitsleute, verstärkte Polizeikontrollen, drastische Bussen für Lärmen oder Urinieren, Überwachungskameras, Warnaufschriften auf Plakaten und Bierdeckeln usw. usw. ...
Zürich, eigentlich kein Ferienort, schafft besondere Ausnüchterungszellen für Jugendliche.

Alkoholfreie Jahrgänge
Der Grosse Rat des Kantons Bern hat sich für das Verbot der Abgabe auch von Wein und Bier an Jugendliche unter 18 Jahren ausgesprochen. Ist das "in hohem Masse bevormundend" und daher abzulehnen, wie mein Leibblatt schreibt?

220 Millionen Taschengeld
Die SFA in Lausanne hat die Ausgaben für Alkoholika im Jahr 2007 auf 10 Milliarden geschätzt. 220 Millionen davon werden von Jugendlichen ausgegeben. 130 Millionen davon dürften gar nicht ausgegeben werden: Damit kaufen unter 16jährige Bier und unter 18jährige harte Getränke. Und das Geschäft läuft.

Fussball ohne Alkohol
Die Spieler trinken während der Spiele keinen Alkohol. Darf man dies auch von den Zuschauern erwarten, damit weniger Randale entstehen? Soweit wagen Sportverbände und Polizeidirektoren nicht zu gehen. Ein Bundesrat soll gesagt haben, er trinke bei einem Match auch ein Bier und er habe nie randaliert. Man einigte sich auf Leichtbier als Getränk für Zuschauer.

Openair - Open-Bier?
Freiluftkonzerte sind ohne Bier ebenso schwierig wie Fussball ohne Bier. Beim Openair im Sittertobel sollen die Besucher nur noch 3 Liter Bier mitbringen dürfen. Erhitzte Gemüter schon vor dem Festival. Sind 3 Liter tatsächlich viel zu wenig?

Alkoholfreie Zeiten: Polizeistunde
Erinnern Sie sich an die Zeit, als in Zürich die Wirtschaften um Mitternacht dicht machten und die Presse darüber spottete? Etwas weniger streng waren andere Kantone, aber eine alkoholfreie Pause zwischen gestern Nacht und heute Morgen gab es immer. Diese "alten Zöpfe" wurden meist abgeschnitten. Nun fragt sich der Schwyzer Polizeidirektor, ab man an grossen Festen ab 2 Uhr morgens ein Alkoholverbot einführen sollte, weil die Polizei im Jahr 2009 30-mal bei Massenschlägereien eingreifen musste.
Der Kanton Waadt ist schon ein Stück Wegs weiter: Von 4 bis 10 Uhr morgens ist der Alkoholausschank bei öffentlichen Anlässen verboten; in Gaststätten allerdings erlaubt.
Nachtklubs dürfen in verschiedenen Städten bis früh am Morgen offen bleiben. Damit soll der Lärm verhindert werden, wenn alle Gäste mitten in der Nacht das Lokal verlassen. In Frankreich gilt diese Regel schon, aber ab 5.30 Uhr darf kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden.

Alcopops ade! Oder doch nicht?
Die höheren Steuern für die harten Süssgetränke haben diese vom Markt verschwinden lassen. Inzwischen haben Jugendliche entdeckt, dass sie selber süss mit hart mischen können. Der nach Steuersenkungen billiger gewordene Wodka eignet sich dazu hervorragend. Also Steuern rauf! Aber das ist eine alkoholpolitische Grundsatzfrage: Darf wegen einigen "Sündern" alle "ehrbaren Konsumenten" bestrafen?

Gesundheitswerbung für Alkohol
Dass so etwas nicht legal ist, wissen wir. Dafür vergeht kein Monat, ohne irgend ein Forscher "entdeckt", dass irgend eine Weinsorte der Gesundheit gut tut. Den Vogel abgeschossen hat aber ein "Magazin für Bio und Nachhaltigkeit". Wissenschaftlich bestätigt sei es jetzt, dass Bier ein wahrer Jungbrunnen sei, besonders wenn es aus der Bio-Brauerei komme. Am Ende des Artikels wird gleich angegeben, wo das "Power-Gebräu" zu kaufen ist. Das Magazin wird ja auch von dieser Handelskette herausgegeben. Pressefreiheit ist auch für mich wichtig, aber wo bleibt die Selbstverantwortung, welche die Freiheit ergänzen muss?

Alkoholwerbung im Fernsehen
Das schweizerische Radio- und Fernsehgesetz ist den Regeln der EU angepasst worden. Jetzt dürfen ab 1. Februar 2010 alle Fernsehstationen für Alkohol werben. Dafür können die Schweizer Filmmacher vom EU-Filmförderungsprogramm profitieren. Die Alkohollobbyisten in Brüssel und Bern haben gewonnen. Schätzungsweise 25'000 Lobbyisten für alle möglichen Anliegen soll es in Brüssel geben, in Bern etwa 250. (Im letzten Kalender war zu lesen: "Alkoholwerbung zugunsten der Filmföderung. Da hat jemand in Brüssel einen seltsamen Zusammenhang gestrickt. "Ein fauler Deal", meint das Blaue Kreuz.")

Bier-Spots verleiten zum Saufen
Allerdings nur in Deutschland. Denn dort hat dies eine Untersuchung gezeigt. Wir Schweizer können dies in ein paar Jahren auch untersuchen...

Ärzte verlangen Verbot jeder Alkoholwerbung
Halt, das habe ich in Mallorca gelesen und es sind die Ärzte in Grossbritannien...

24-Stunden-Tankstellenshops
Im letzten Kalender meldeten wir: Die Tankstellenshops im Kanton Zürich - oft eine beliebte Alkoholquelle - müssen nächstes Jahr am Morgen früh zwischen 1 und 5 Uhr schliessen. Der Grund: Die Angestellten dürfen gemäss Gesetz nachts nicht arbeiten. Es bestehe kein besonderes Konsumbedürfnis. Bis Ende 2009 durften sie aber provisorisch offen bleiben. Das Bundesgericht hat dieses Provisorium verlängert. - Im Kanton Neuenburg hat das Volk ein Verbot des Alkoholverkaufs in Nacht-Shops abgelehnt.

Sondersteuer auf Alkoholverkauf ist erlaubt
Die Kantone dürfen eine Sondersteuer auf den Verkauf von alkoholischen Getränken zum Mitnehmen erheben. Das Bundesgericht hat eine Neuregelung aus dem Kanton Waadt abgesegnet und die Beschwerden abgewiesen. (Zur Nachahmung empfohlen!)

42 Clubs für eine Nacht
In meiner Stadt werben 42 Nachtlokale um Kunden. Einer (?) bietet während den "happy hours" (glücklich für wen?) zu billige Schnäpse an, was laut Alkoholgesetz verboten ist. Übrigens, rund ein Drittel der Schweizer Gaststätten wechseln, meist nach Konkurs, den Wirt. Das Bedrfnis nach Gaststäten ist nach Fallen der Bedürfnisklausel nicht grösser geworden. Und jetzt darf in den Wirtschaften auch nicht mehr geraucht werden...

Via sicura = Sichere Strasse
Ein erster Entwurf hiess "Vision Zero", setzte sich als utopisches Ziel, die Zahl der Getöteten und der Schwerverletzten auf Null zu verringern. Eine stark gerupfte Version ist als "via sicura" im November 2008 in die Vernehmlassung gegangen. Im Februar 2010 ist nach insgesamt 8 Jahren Beratungen eine noch einmal gerupfte Fassung veröffentlicht worden. Beschlossen ist noch nichts, Geld soll es allerdings nicht kosten. Immerhin ist für Neulenker und und Bus- und Lastwagenfahrer eine 0,1-Promille-Grenze vorgesehen.

0,5 Promille fünfjährig
Am 1. Januar 2005 wurde die 0,5-Promille-Grenze für Autofahrer eingeführt. Die Bilanz: Heute sterben markant weniger Menschen bei Unfällen unter Einfluss von Alkohol. Die Massnahme habe aber ihre Grenze erreicht, meinen Fachleute. Es brauche vermehrte Polizeikontrollen.

Testkäufe
Darf man testen, ob sich Geschäfte und Wirtschaften an das Verbot der Abgabe von Alkohol an Jugendliche halten? Ganz sicher ist es noch nicht, aber sie sind nötig.
Halten sich die Verkäufer an die Vorschriften? Nicht alle, aber immer mehr. Schuld bei Übertretung ist aber der Besitzer und nicht das Personal. Einem Shop in Interlaken wurde so jeder Alkoholverkauf für einen Monat verboten.

Totalrevision des Alkoholgesetzes
Das Bundesgesetz über die gebrannten Wasser (Alkoholgesetz) gehört zu den ältesten Gesetzen des Bundes. Es soll vollständig revidiert werden. Im Rahmen der anstehenden Totalrevision sollen zudem die gesundheitspolitisch bedingten Handels- und Werbebeschränkungen für Spirituosen überprüft und ergänzt werden. Namentlich lässt der Bundesrat die Schaffung rechtlicher Grundlagen für Testkäufe, für gezielte Massnahmen gegen Billigstangebote sowie für ein zeitlich und örtlich limitiertes Alkoholverbot abklären. Hoffentlich geht nicht mehr verloren als gewonnen wird.

Absinth
Seit 2005 wieder erlaubt, findet die "Gürne Fee" fast mehr Kunden im Ausland als in der Schweiz. Besonders die USA sind ein guter Abnehmer.

Volksinitiative "Schutz vor Passivrauchen"
Das nationale Rauchverbot kommt am 1. Mai 2010, wird aber als ungenügend betrachtet. Über 40 Organisationen haben nun eine Initiative "Schutz vor Passivrauchen" lanciert, um die "zahlreichen Lücken" im Bundesgesetz zu schliessen und eine einheitliche nationale Regelung zu schaffen.

Cannabis: Ordnungsbussen statt Anzeige?
Der Cannabis-Konsum soll verboten bleiben, künftig aber nicht mehr als Straftat angezeigt werden. Nach dem Willen der Gesundheitskommissionen (SGK) von National- und Ständerat soll Kiffen nur mit Bussen geahndet werden.

35 000 Spielsüchtige
Hunderttausende spielen in Casino, im Internet oder kaufen Lose. 35 000 davon müssen als süchtig betrachtet werde. Kollateralschäden? (Siehe oben.)

Khat
Khat? Noch nie gehört? Es handelt sich um die Zweigspitzen und jungen Blätter des Khatstrauchs, die in Abessinien und Somalia als Genuss-und Suchtmittel gekaut werden. Khat taucht immer mehr auch in Europa auf, wo es bis jetzt nur von Einwanderern konsumiert wird. Der Schweizer Zoll hat zugeschlagen.

Eduard Muster

(Dieser Rückblick ist im Blaukreuzkalender 2011 erschienen.)


Alkoholpolitische Rundschau 2008

Im Berichtsjahr ist auf Bundesebene kaum etwas Entscheidendes passiert und noch weniger Entscheidendes wurde entschieden. Die Gegensätze zwischen den Interessen von Gesundheit und "Wirtschaft" waren zu gross. Die Bemühungen zur Verhinderung und zur Behebung von Alkoholproblemen wurden auf die lokale Ebene verlagert.

Nationales Programm Alkohol 2008 bis 2012
"Wer alkoholische Getränke trinkt, tut dies ohne sich selber und anderen Schaden zuzufügen."
Das soll das Ziel sein. Das Programm wurde im Auftrag des Bundesrates vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) erarbeitet. Es will problematischen Alkoholkonsum und besonders das Rauschtrinken bei Jugendlichen reduzieren und so Folgeerkrankungen, Unfälle und Gewalttaten eindämmen. Der Bundesrat hiess das NPA am 18. Juni 2008 gut.

Das Komitee der Wirtschaft "für eine sinnvolle Alkoholpolitik" spricht von unüberlegten, teuren und unnützen Massnahmen und von einer Einschränkung der persönlichen Freiheit. Gehandelt werden muss aus Sicht der 15 Wirtschaftsverbände und betroffenen Branchenorganisationen vor allem beim Jugendschutz. Nebenbei wird der Direktor des Bundesamtes für Gesundheit als "Gesundheits-Taliban" diffamiert.

Aufsehen erregt hatte namentlich die im Programm aufgeführte Absicht, den Verkauf alkoholischer Getränke zwischen 21 und 7 Uhr zu verbieten. Für die Schweizerische Vereinigung der Markenspirituosen bringt diese Massnahme nichts gegen übermässiges Trinken und Alkoholkonsum von Minderjährigen. Erhöhte Steuern auf Spirituosen und Bier lehnt die Vereinigung ebenfalls ab. Die Konsumenten würden einfach ihre Trink- und Kaufgewohnheiten anpassen, und zudem bleibe der Wein ausgeklammert. "Jugendschutz ja – aber ohne die Wirtschaft einzuschränken" lautet die Parole

Keine höheren Bier- und Weinpreise
In Deutschland auch nicht. Kurz vor Weihnachten meldeten Medien, die deutsche Drogenbeauftragte schlage vor, die im europäischen Vergleich niedrigen Bier- und Weinpreise durch Steuern zu erhöhen. 12 Stunden später kam die "Entwarnung": diese Massnahmen sollten nur geprüft werden. Inzwischen hatten Politiker bereits erklärt, sie wüssten, dass diese Massnahmen nichts nützten. Es brauche Information und Aufklärung.

Hat die Prävention versagt?
Viele Jugendliche und auch junge Erwachsene geben an, sich mehr oder weniger regelmässig zu besaufen – Entschuldigung, sich (fast) bis ins Koma zu betrinken. Die Medien fragen sich, ob die Prävention versagt habe. Welche Prävention? Hat man sie überhaupt gemacht? Sobald mehr als Appelle an die Selbstverantwortung geplant werden, wehren sich und Politik und Wirtschaft gegen solche Vorschriften. Prävention besteht aus zwei Teilen: Information und Vorschriften. Aufklärung ist notwendig, genügt aber nicht.

Präventionsgesetz
Der Bundesrat hat die Vernehmlassung zum Vorentwurf für das Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung (Präventionsgesetz) und zum Erlass über das Schweizerische Institut für Prävention und Gesundheitsförderung eröffnet. Damit soll eine solide Basis für die zukünftige Ausgestaltung von Prävention und Gesundheitsförderung in der Schweiz gelegt werden.

Via sicura = Sichere Strasse
Mit 60 Massnahmen will der Bundesrat die Sicherheit auf den Strassen verbessern und vor allem die Zahl der Verkehrstoten vermindern. Eine Massnahme betrifft die Neulenkerinnen und Neulenker. Diesen soll für die Dauer der dreijährigen Probezeit vorgeschrieben werden, während der Fahrt nüchtern zu sein. Ein erster Entwurf hiess "Vision Zero", setzte sich als utopisches Ziel, die Zahl der Getöteten und der Schwerverletzten auf Null zu verringern. Eine stark gerupfte Version ist nun als "via sicura" im November 2008 in die Vernehmlassung gegangen, hat aber schon wieder Reaktionen wie "Verhältnisblödsinn, Schnapsideen und Zwängereien" hervorgerufen. (Was soll mit einem betrunkenen Jungfahrer ohne Fahrausweis geschehen, der mit einem gestohlenen Aoto einen Raserunfall baut? "Nez Rouge" kommt hier zu spät.)

Verbotswut der Gutmenschen?
Es gibt einen Verein, der sich die Bekämpfung der "Verbotswut" auch in der Prävention von Alkohol- und Tabakproblemen wendet – nicht aber bei anderen Drogenproblemen. Wir sind aber nicht "verbotswütig", höchstens wütend, wenn auf Kosten der Gesundheit von Jugendlichen, aber auch von Erwachsenen, Geld gescheffelt. Wenn dieses Gewinnstreben über die Stränge schlägt, werden Vorschriften und Verbote notwendig.

Flaschensaufen?
Wie könnte man "Botellones" anders übersetzten? Im Internet ruft jemand auf, sich mit grossen Flaschen Alkoholika auf einem Platz zu treffen und die Flaschen zu leeren. Wer keinen Internet-Zugang hat, wird durch die Presse (!) darauf aufmerksam gemacht. Diesem spanischen Trend, der in Teilen Spaniens verboten ist, stehen unsere Behörden hilflos gegenüber. Verbieten, kontrollieren oder auf Regen hoffen. (Was ist eigentlich mit den Silvesterpartys auf offener Strasse?)

Sogar die Jugendsession, die im Bundeshaus tagte, verlangte starke Prävention: Die Folgen starken Trinkens sollten schonungslos dargestellt werden, aber auch der Verkauf und die Weitergabe von Alkohol an Jugendliche sollte bestraft werden. Eine Lobbygruppe "Forum Jugendsession" will dafür sorgen, dass die Petition nicht unbehandelt in einer Schublade verschwindet. (Da gleichzeitig das neue Bundeshaus eingeweiht wurde, fand diese Petition nicht das nötige Medienecho.)

"Alkohol-Stopp" in Bahnhöfen

In Läden und Kiosken in SBB-Bahnhöfen kann seit dem 1. April nach 22 Uhr kein Alkohol mehr gekauft werden. Das Personal in der Aperto-Filiale im Bahnhof Bern verkaufte seit Jahren Alkohol an Jugendliche. Im Oktober hat die Regierungsstatthalterin dem Geschäft für zwei Monate ein Alkoholverbot erteilt.

Zürich: Jugendschutz in Gastrobetrieben und Verkaufsstellen

Seit Inkrafttretung des kantonalen Gesundheitsgesetzes am 1. Juli 2008 besteht in Zürich für Gastrobetriebe und Verkaufsstellen die Pflicht, das Verbot von Verkauf und kostenloser Weitergabe von Alkohol und Tabakwaren an unter 16- bzw. 18-Jährige auszuschildern. Jugendliche Testkäufer Jede Flasche Alkohol, die in Jugendlicher trinkt, ist vorher durch die Hand eines Erwachsenen gegangen. Rechtlich umstritten ist, ob jugendliche Testkäufer versuchen dürfen, Alkohol zu kaufen, den man ihnen nicht abgeben dürfte. Die Ergebnisse zeigen, dass das Verbot des Verkaufs häufig nicht eingehalten wird. Also?

"Alkohol-Stopp" nach Mitternacht
Zwischen 00.30 Uhr und 07.00 Uhr darf in Chur auf der Gasse kein Alkohol mehr konsumiert werden. Ein Trinkverbot, das für alle gelten soll – nicht nur für Jugendliche. Eine in der Schweiz noch nie da gewesene Vorschrift.

Bund verbietet 24-Stunden-Tankstellenshops
Die Tankstellenshops im Kanton Zürich müssen nächstes Jahr am Morgen früh zwischen 1 und 5 Uhr schliessen. Der Grund: Die Angestellten dürfen gemäss Gesetz nachts nicht arbeiten. Es bestehe kein besonderes Konsumbedürfnis.

Bern verbietet ab Juli "All- you-can-drink-Partys"

Auf Anfang Juli tritt im Kanton Bern das Verbot von so genannten Flatrate- und All- you-can-drink-Partys in Kraft. Alkohol soll nicht mehr gratis oder zu einem festen Preis ohne Berücksichtigung der Menge abgegeben werden dürfen.

Alkoholwerbung im Fernsehen

Die Werbung für Bier und Wein soll künftig für alle Fernsehveranstalter in der Schweiz erlaubt sein. Der Bundesrat beantragt eine entsprechende Aufweichung des Alkoholwerbeverbots im Radio- und Fernsehgesetz. Damit will die Landesregierung die definitive Teilnahme der Schweiz am EU-Filmförderungsprogramm ermöglichen und eine Benachteiligung der Schweiz gegenüber ausländischen TV-Werbefenstern und den Lokalsendern vermeiden. (Alkoholwerbung zugunsten der Filmförderung. Da hat jemand in Brüssel einen seltsamen Zusammenhang gestrickt. "Ein fauler Deal", meint das Blaue Kreuz.)

Plakatwerbung für Alkohol und Tabak

Die Bahn darf künftig auch in Bahnhöfen keine Alkohol- und Tabakreklamen mehr aufhängen. Der Fall wäre eigentlich längst klar: Im Kanton Bern darf auf öffentlichem Grund und auf von solchem einsehbar keine solche Werbung hängen. Die SBB liessen sie trotzdem zu. Dann griff der Kanton ein - und setzt nun das Gesetz durch.

Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen
Die Bundesversammlung hat am 3. Oktober 2008 ein neues Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen verabschiedet . Es geht weniger weit als einige kantonale Gesetze.

Betäubungsmittelgesetz
Im Jahr 2008 wurde endlich das revidierte BetmG angenommen. Es enthält vier Säulen: Prävention, Therapie, Schadenminderung, Repression.

Geldspiele
Gegen Aids und Alkoholmissbrauch gibt es Plakataktionen. Warum wird eigentlich auch vor Geldspielen wie Poker oder vor Casinos gewarnt? Das fragen sich einige Politiker. Und Sie, geschätzter Leser?

Eduard Muster


Die Oberziele des Nationalen Programms Alkohol 2008–2012 sind:
1.Gesellschaft, Politik und Wirtschaft sind für die besondere Verletzlichkeit von Kindern und Jugendlichen durch alkoholische Getränke sensibilisiert und unterstützen entsprechende Jugendschutzmassnahmen.
2. Der problematische Alkoholkonsum (Rauschtrinken, chronischer und situationsunangepasster Konsum) ist reduziert.
3. Die Anzahl alkoholabhängiger Personen hat abgenommen.
4. Die Angehörigen und das direkte soziale Umfeld sind von den negativen Auswirkungen des Alkoholkonsums spürbar entlastet.
5. Die negativen Auswirkungen des Alkoholkonsums auf das öffentliche Leben und die Volkswirtschaft haben sich verringert.
6. Die staatlichen und nicht-staatlichen Akteure im Bereich Alkohol koordinieren ihre Tätigkeiten und gewährleisten gemeinsam die erfolgreiche Umsetzung des Nationalen Programms Alkohol.
7. Die Bevölkerung kennt die negativen Auswirkungen des Alkoholkonsums und unterstützt geeignete Massnahmen, um diese zu verringern.

(Dieser Rückblick ist im Blaukreuzkalender 2010 erschienen.)


Alkoholpolitische Aktualitäten im Jahr 2007

Gute Gesetze sind nur dann gut, wenn sie verstanden und eingehalten werden.

Alkohol ist gesund??
Für Alkoholika darf nicht mit Gesundheit geworben werden. Diese Vorschrift wird aber oft umgangen: Alle paar Wochen zeigt eine "wissenschaftliche" Untersuchung, dass das eine oder andere Getränk gesund sein könnte. Die Herzstiftung verkauft einen Wein "Herzass". Auf der Titelseite einer Krankenkassenzeitschrift geniesst ein ganz gesunder Mann ein Glas Wein. "Die Zeitung für Ihre Gesundheit" behauptet: "Ob rot oder weiss – Wein tut gut." usw. usf.

Nationales Programm Alkohol 2008/2012
Sie haben schon einige Zeit unter diesem Plan gelebt, der 2007 zur Vernehmlassung an die "interessierten Kreise" geschickt wurde. Auf einen der wirksamsten Vorschläge (kein Alkoholverkauf in der Nacht) wurde schon vorher nach einer gezielten Indiskretion geschossen. (Der letzte Plan ist Ende 2006 abgelaufen. Im Jahr 2007 wurde also ungeplant getrunken.)

Euro 08
Wenn Sie diesen Artikel im Kalenderjahr 2009 lesen, ist die Euro 08 schon lange vergangen und vergessen. Zu Ihrer Erinnerung: Es ging um Fussball und Bier. Das ganze Jahre 2007 wurde diskutiert, ob Fussball ohne Bier zu ertragen ist. Wo und wann darf welches Bier ausgeschenkt und wo nicht? Im Stadion, ums Stadion herum? In den Fan-Zonen vor, während und nach den Spiele oder gar eine ganz Freinacht? Oder kein Bier für das Volk, Cüpli für die VIPs? Der Beauftragte des Bundesrates ist der Meinung, die Bierpreise dürften für die Fussballfans nicht erhöht werden... Im Herbst 2007 trainiert die Polizei auf alle Fälle schon den Umgang mit betrunken Vandalen; Basel bereitet für die Freinächte Spezialzelte für 1500 Betrunkene vor. Die SFA hat Unterlagen zur Alkoholprävention erarbeitet. Zu einem Ausschankverbot werden sich die Behörden kaum durchringen.

Alkohol am Fernsehen
1965 wurde Reklame im Fernsehen erlaubt, ausser an Sonntagen und für alkoholische Getränke, Tabakwaren und Heilmittel. Inzwischen wurde "Reklame" in "Werbung" umgetauft und Heilmittelwerbung und Werbung an Sonntagen erlaubt. Ab 2007 dürfen lokale Privatsender für Bier und Wein werben. Dazu schleichen sich immer mehr redaktionelle Berichte ins Programm, die den Eindruck erwecken, wer Alkohol nicht geniesse, der geniesse das Leben nicht richtig. In Kochsendungen wird der dazu gehörige Wein gleich im Detail beworben.

Filmförderung durch Alkoholwerbung?
Mit dem 2007 unterzeichneten Media-Abkommen Schweiz-EU soll die Schweiz vom neuen Filmförderungsprogramm der EU profitieren. Allerdings verlangt die EU von der Schweiz die Annahme der EU-Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen". Damit dürfte ab November 2009 in Werbefenstern ausländischer Sender Werbung für Alkohol, Religionen und politische Parteien gestattet werden. So würden die "drei Geisseln des Volkes" in den Schweizer Fernsehalltag einkehren, sagte Medienminister Moritz Leuenberger. Er erwartet Begehrlichkeiten auch von Seiten heimischer Sender. Das Parlament war Ende 2007 der Meinung, die Interessen an der Förderung des schweizerischen Films wiege die Nachteile der Werbung für Alkohol etc. nicht auf.

Massnahmen gegen Kampftrinken
"15-Jährige säuft sich fast zu Tode."Mit einem Alkohol-Aktionsplan will auch die St.Galler Regierung dem Alkoholmissbrauch von Jugendlichen und Erwachsenen vorbeugen. Unter anderem sollen die Jugendschutzbestimmungen, zum Beispiel mit Testkäufen, konsequenter umgesetzt werden. Zudem will man die Kontrollen verstärken. Grund sind immer jüngere Jugendliche, die Alkohol konsumieren, sowie die Zunahme der Zahl von Jugendlichen, die exzessiv trinken und dann Gewaltopfer in die Notfallstation eingeliefert werden. Wie oft habe ich schon diesen Satz geschrieben? "Jedes Glas Alkohol, das ein Jugendlicher trinkt, ist vorher durch die Hände von Erwachsenen gegangen!"

Andere "Massnahmen" gegen Kampftrinken

Drei Nächte in Folge haben aufgebrachte Menschen in der Hauptstadt La Paz Nachtklubs und Bars angegriffen. Sie werfen den Betreibern der Lokale vor, Alkohol an Jugendliche ausgeschenkt zu haben. Für einen wirksamen Jugendschutz braucht es auch ein Konsumverbot mit Strafen für die Jugendlichen. Kampftrinker-Kids sollen Spitalkosten selber bezahlen oder Arbeitsdienst leisten.

Openairs – Luft, Musik und Alkohol

Mit der Liberalisierung der Gesetze wurde es möglich, Konzerte und andere Festivals durchzuführen wo oft Bier, Cüpli und härtere Sachen wichtiger sind als die Musik. "Der Rausch auf dem Felde" titelte der Tages-Anzeiger. Am Anfang stehen die Verkäufer – wenn es viele Stände hat, fällt die informelle Kontrolle weg. Am Schluss kommt der Sanitäter. Und am Morgen werden die Schäden behoben. Auch gegen den Lärm scheint kein Kraut gewachsen zu sein.

Vorschriften umgehen
Ursprünglich wurden alkoholische Getränke erkennbar als Bier, Wein, Likör, Schnaps in Flaschen angeboten und in Gläsern ausgeschenkt. Heute werden sie (vor allem für Jugendliche) getarnt: Gesüsst als Alkopops oder abgefüllt in Beuteln, Reagenzgläsern, Tuben usw. zum Selbermischen. Alkoholhaltige Schokolade wird ungenügend deklariert. Hiess es nicht früher deutlich: "Darf nicht an Kinder abgegeben werden"? Der Fantasie (und der Gewinnsucht) sind scheinbar keine Grenzen gesetzt – ausser dank dem Alkoholgesetz bei Spirituosen.

Glückliche (?) Stunden
Wer möchte nicht glückliche Stunden verbringen? Mit ihren "Happy Hours" wollen Barbesitzer zu Ihrem Glück beitragen: "Einen Drink bezahlen, zwei trinken." Oder: "Einmal zahlen – immer trinken. Gilt dieses Angebot auch für Spirituosen, so verstösst der Gastwirt mehrfach gegen das Alkoholgesetz: Es ist ein illegales Lockangebot. Werbung dafür ist verboten. Abgabe zu nicht kostendeckenden Preis ist untersagt. Die Alkoholverwaltung hat dies wieder einmal klar gesagt. (Kennen eigentlich auch die Wirte ohne Patente die Gesetze?)

Vollrausch zum Spottpreis
Für Bier gilt das Alkoholgesetz nicht. Bier kann also so billig angeboten werden, dass die Kunden denken: "Mega billig; da kann ich mir gleich zwei oder drei Sixpacks leisten. Mit der «Alles im Griff?»-Kampagne sollen die Jugendlichen gezielt auf die negativen Auswirkungen des problematischen Alkoholkonsums angesprochen werden.

Prävention und Gesundheitsförderung stärken
Im Herbst 2008 soll das Eidg. Departement des Innern einen Gesetzesentwurf vorlegen, der Prävention und Gesundheitsförderung stärken soll. Ein solches Gesetz haben wir seit Jahrzehnten gefordert. Wir wünschen viel Glück – und auch etwas Alkoholpolitik darin.

0,5 Promille
Die Wirkung der niedrigeren Promillegrenze scheint in einigen Kantonen nachzulassen. Viele Fahrer scheinen sie weniger Ernst zu nehmen. Das Wissen hat abgenommen Sie werden selten kontrolliert und an den Tankstellen gibt es meistens nicht nur Benzin, sondern auch Bier.

0,2 Promille
Müssen Lokomotivführer nüchtern sein? Das Bundesamt ist der Ansicht, null komma zwei sei nüchtern genug.

0,0 Promille
Kurz vor Weihnachten erinnerte die bfu - Beratungsstelle für Unfallverhütung - an ihre seit Jahren erhobene Forderung: 0,0 Promille für Neulenker. Für junge Fahranfänger besteht bereits bei niedrigen Alkoholkonzentrationen ein erhöhtes Unfallrisiko. Neulenker sind die gefährlichsten Lenker. Im Januar 2008 will Verkehrsminister Leuenberger diesen Vorschlag im Bundesrat einbringen.

-18 / -16 / 21+

Die ersten zwei Formeln sind klar: Keine harten Getränken an unter 18jährige, überhaupt keinen Alkohol an unter 16jährige. Testkäufe, oft vom Blauen Kreuz durchgeführt, überprüfen die Innehaltung – aber plötzlich fällt es jemandem ein, solche Test seien illegale Verführung zur Übertretung des Gesetzes??
Kein Alkoholverkauf nach 21 Uhr ist eine sinnvolle Forderung zur Verhütung von übermässigen und unpassenden Alkoholkonsum – und wird daher von der Industrie abgelehnt.

Schnäpse
"Händler treten Flucht nach vorne an. Die Schnapslobby will mehr tun für den Jugendschutz. Dabei geht es ihr nicht nur um Jugendliche – sondern auch um sich." Dieser bissige Kommentar zu einem Programm der Spirituosenhändler stammt nicht vom Kalendermann, sondern von der Gratiszeitung ".ch". Die Industrie habe Angst vor gesetzlichen Massnahmen.

Und wir Älteren?
Die öffentliche Meinung ist besorgt über den Alkoholkonsum Jugendlicher. Zu Recht. Vor längerer Zeit war die öffentliche Meinung besorgt über den steigenden Alkoholkonsum von Frauen. Zu Recht. Manchmal keimt in mir der Verdacht, mit Fokussierung auf Frauen und Jüngere lenke man von gesetzlichen Massnahmen ab, die auch die älteren Männer treffen würden.

Haschisch harmlos oder gefährlich?

Seit Jahren wird darüber diskutiert, ob Haschisch legalisiert werden soll. Das Parlament lehnt die Freigabe ab. Oft wird gefragt, warum Alkohol so frei verkauft werden dürfe und Haschisch so verboten sei. Kennen Sie die Antwort?

Luft frei von Tabak
Waren Sie in letzter Zeit z.B. in Irland? Die früher verrauchten Pubs sind jetzt frei von Tabak, auch andere Länder sind schon soweit. Nur in der Schweiz wird noch kantonsweise um jedes Stück freie Luft gekämpft. Mit Freiwilligkeit oder Toleranz – der Nichtraucher gegen die Rauchenden? - geht es offensichtlich nicht. Casinos: Der Bundesrat will in den nächsten drei Jahren keine neuen Bewilligungen erteilen. Übrigens, 80% der Einnahmen der Casinos stammen von Spielsüchtigen.

Eduard Muster


Interview mit Eduard Muster, Autor der «Alkoholpolitischen Jahreschronik»

Fragen: Lars Lepperhoff
Herr Muster, können Sie uns einführend kurz einige Worte zu Ihrem Leben sagen?
Aufgewachsen bin ich als Sohn von Kleinbauern am Wohlensee bei Bern. An der Uni Bern habe ich den heute ausgestorbenen Beruf des Sekundarlehrers studiert. Unterrichtet habe in Sumiswald und zwei Jahre in Athen. Seit 1967 wohne ich mit meiner Familie bei Lausanne.

Wie kamen Sie in die SFA?
Ich habe mich im Herbst 1966 im Kanton Bern an der Kampagne für die "Landesringinitiative" für eine Besteuerung aller Alkoholika beteiligt. Die SFA hat mich dann angefragt, ob ich an der Stelle als Redaktor der "Freiheit" interessiert sei. Ich war, kam und blieb.

Waren Sie von jung an für alkoholpolitische Fragen sensibilisiert?

Ich bin nicht in einer abstinenten Familie aufgewachsen. Als Gymnasiast habe ich mich für Politik interessiert und war aktiv in für Europa, für den Zivildienst, für Alkoholpolitik und Freiwirtschaft. [Im Jugendparlament Bern war ich Gründer der liberalsozialistischen Fraktion; zweimal war ich erfolglos Nationalratskandidat für den Landesring und in Ecublens sass ich für die ersten Grünen im Gemeindeparlament.] Als Abstinent wurde ich Mitglied bei den Guttempler IOGT, wo ich im lokalen, nationalen und internationalen Vorstand tätig war. Im Jahr 2007 konnte ich meinen 70. Geburtstag und meine 50 Jahre als Guttempler feiern.

Wie stehen Sie zum Blauen Kreuz?
Ein Blaukreuz-Kalender hat mich auf das Alkoholproblem und die Abstinenz aufmerksam gemacht. Am Bernischen Kantonalfest des Blauen Kreuzes habe ich 1955 erstmals viele organisierte Abstinenten gesehen. Ich hatte und habe immer gute Kollegen und liebe Freunde im Blauen Kreuz – und hoffentlich viele Leser dieser Jahreschronik.

Wie beurteilen Sie die Alkoholpolitik in der Schweiz?

Kritisch. Die Schweizer Gesetze gehören zu den besten in Europa, könnten aber viel besser sein. Zu jedem Verbesserungsvorschlag findet aber ein politisches Seilziehen zwischen Vertretern der Gesundheit und Vertretern der Alkoholwirtschaft statt. So kommt es zu einem gegenseitigen Schachmattstellen und alles bleibt beim Alten oder... (siehe folgende Frage).

Ist man in den letzten Jahren liberaler geworden?
Bis Anfang der 80er Jahre bemühten sich Gesetzgeber und Behörden, die "Löcher in der Staumauer der Alkoholpolitik" zu stopfen. Mit dem Wirtschaftsgesetz des Kantons AR begann im Jahre 1981 eine neue Periode: Die Bedürfnisklausel für alkoholführende Wirtschaften wurde unter lautem Jubel über Bord geworfen. («In den Voralpen beginnt die Freiheit beim Alkohol», spottete die «Weltwoche»). Diesem Beispiel folgten ohne Dialog und ohne Reflexion andere Kantone. Ziel war es, "veraltete Zöpfe" über Bord zu werfen. Ein Vierteljahrhundert später nimmt man die Folgen der gedankenlosen Liberalisierung war. Hoffentlich setzen sich die Kräfte durch, die wieder sagen: "Alkohol – kein gewöhnliches Konsumgut" – womit der Kreis geschlossen wäre...

Was müsste Ihrer Meinung nach geändert werden?

Alkoholkontrollpolitik darf nicht gegen "Prävention" ausgespielt werden; Alkoholpolitik ist die beste Prävention. Sie muss aber mit Information, mit "Aufklärung" ergänzt werden, damit die Betroffenen überzeugt sind, dass die Gesetze notwendig und gerecht sind. Im Vordergrund meiner Wünsche steht die Erschwerung der Erhältlichkeit (weniger Quellen, geringere Öffnungszeiten, höhere Steuern.) Wenn man dem Alkohol nachlaufen muss, statt dass einem der Alkohol nachläuft, wird der Konsum nachlassen.
Sich auf übermässiges und verantwortungsloses Trinken zu konzentrieren, wie es die Alkoholindustrie propagiert, ist zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Eine Alkoholsteuer auf alle Alkoholika und ein Verbot jeder Alkoholreklame, pardon -werbung, finde ich immer noch dringend notwendig.

Da Sie noch heute als Pensionierter alljährlich die «Alkoholpolitische Jahreschronik» schreiben, beschäftigen Sie sich immer noch intensiv mit all diesen Fragen.
Ich lese täglich mehrere Zeitungen in beiden Sprachen und lege die interessanten Artikel auf eine Beige, die ich Ende Jahr durcharbeite und mit Seiten im Internet ergänze. Nicht alle Zeitungen berichten gleich über die gleichen Themen. (Wer nur eine liest, hat manchmal erschreckende Lücken.)

Wir freuen uns, dass Sie alljährlich für uns aktiv sind, danken Ihnen für das Gespräch und für Ihren Beitrag.

Alkoholpolitische Aktualitäten im Jahr 2006

0,5 Promille: Die Einführung der 0,5‰ kann als alkoholpolitisches Lehrstück dienen.
1. Es braucht lange, bis eine gesundheitspolitische Verbesserung sich gegen wirtschaftliche Interessen und populäre Gewohnheiten durchsetzen kann. (Im Jahre 1975 führte die SFA eine nationale Aktion für 0,5 durch. In Umfragen war die Bevölkerung eher dafür; die Politiker im Parlament aber dagegen. 30 Jahre später war es soweit.)
2. Es braucht Information; die Plakate "0,5 Promille = max. 1 Glas" wurden angefochten, sind aber nun gerichtlich erlaubt. Die Kampagne der Alkoholfreunde gegen diese Parole und die Behauptungen, die Vorschriften seien nutzlos, haben auch zur Information beigetragen...
3. Es braucht Kontrolle und Sanktionen; damit hat die Polizei Ernst gemacht.
4. Es müssen Erfolge auftreten, welche die Wirkung der Vorschrift bestätigen und diese damit verstärken: 20 Prozent weniger Getötete und 10 Prozent weniger Schwerverletzte als im Vorjahr waren 2005 auf Schweizer Strassen zu verzeichnen. Im Jahr 2006 starben auf den Strassen 9% Personen weniger als im Vorjahr; bei Alkoholunfällen sank die Zahl sogar um 19%. Die Zahl der Schwerverletzten hingegen blieb stabil; die bei Alkoholunfälle nahm sogar zu. Vor allem jüngere Fahrer setzten sich immer noch alkoholisiert ans Steuer. Daher wird 0,0 für Neulenker vorgeschlagen.
5. Die Bemühungen müssen fortgeführt werden; es darf nicht bei einem Einzelschuss bleiben.

Polizeistunde: Der frühe und kontrollierte Wirtshaus- und Ladenschluss ist schon des Namens wegen unbeliebt und in vielen Kantonen abgeschafft; die Folgen (Lärm, Gewalt, Alkoholexzesse, Verunreinigungen) sind unangenehm und man sehnt sich nach früherem Verkaufsschluss zurück, auch wenn anderswo noch fröhlich liberalisiert wird. Aber:
6. Vorschriften lockern ist einfach, Vorschriften (wieder) einführen ist schwierig.

Alkohol und Exzess lautete das Thema des 10. Schweizerischen Solidaritätstages für Personen mit Alkoholproblemen. Suchtfachstellen aus der ganzen Schweiz wollen die Bevölkerung für das Problem des Rauschtrinkens sensibilisieren und auch die Tabuisierung des Alkoholkonsums bei den Sportverbänden ansprechen.
7. In der Demokratie muss auch der Bürger Politik machen.

Jugendgewalt: Den Gewaltausbrüchen Jugendlicher stehen die Bevölkerung und die Politik entsetzt, aber hilflos gegenüber. Meist wird diskret verschwiegen, dass häufig Alkohol als Auslöser oder Beschleuniger dabei mit im Spiele ist – oft bei Täter und Opfer
Dabei darf nicht vergessen werden, dass jede Flasche Alkohol in der Hand eines Jugendlichen vorher einmal durch die Hand eines Erwachsenen gegangen ist, der daran verdient hat. Die seit einiger Zeit geltenden Vorschriften für den Verkauf – kein Alkohol unter 16, keine Spirituosen unter 18 – werden nicht immer bis selten eingehalten. Kontrollkäufe zeigen eine (sehr) langsame Besserung, seit Plakätchen über die Vorschriften informieren – die Kontrolle durch die Behörden lässt aber noch zu wünschen übrig.

Verkaufsverbote an Jugendliche: Nationalrätin B. Marty Kälin verlangte in einem Postulat: "Der Bundesrat wird gebeten darzulegen, wie das Verkaufsverbot von Alkohol an Jugendliche durchgesetzt werden kann. Er soll dabei insbesondere auch prüfen, ob der Entzug des Alkoholverkaufspatentes nach Missachtung des Verkaufsverbotes zum Ziel führen könnte." Der Bundesrat wird das Problem im Rahmen des "Nationalen Programms Alkohol" behandeln. Die Kompetenz zum Patententzug liege aber bei den Kantonen. Schwarzer Peter?

Komatrinken, "Kampftrinken": "Immer mehr sind es jüngere Leute, die unkontrolliert Alkohol trinken", erklärt ein Rettungssanitäter, der "Alkoholleichen" an Fastnachtsnächten und bei Trinkanlässen einsammelt. "Ein harter Kern" trinkt viel zu viel. Trinken an sich ist nicht verboten, wohl aber der Verkauf an Jugendliche. Wie kommen denn die Jungen zum Alkohol?

Barstreet-Festivals: Die Abschaffung der Bedürfnisklausel ermöglicht die Durchführung von Barstreetfestivals und andere Anlässe, die nur dem Trinken dienen. Die Organisatoren stehen vor seltsamen Problemen: Zu wenig Parkplätze und zu viele Jugendliche!

Sport und Alkohol: Der Nationalrat lehnt das Ausschank- wie das Werbeverbot während der Euro 2008 ab. die Wirtschaftsfreiheit sei wichtiger. "Die Gastronomie schäumt aus Angst vor dem Verbot", meint eine Zeitung. Also darf der Bierkonzern C...* als Sponsor seine Ausschank- und Werberechte behalten.
*Keine Schleichwerbung, bitte!

«cool and clean» - for the spirit of sport: So heisst das Suchtpräventionsprogramm für sauberen und fairen Sport. Getragen wird das Programm von Swiss Olympic, dem Bundesamt für Sport und dem Bundesamt für Gesundheit. Es richtet sich in erster Linie an Jugendliche im Alter von 10 bis 20 Jahren und setzt Leitende und Spitzensportler als Vorbilder ein. Und die Zuschauer?

Alkoholhaltig: Die Pflicht zur Angabe "alkoholhaltig" entfällt bei Lebensmitteln mit weniger als 0,5 Volumenprozent. Der Alkoholzusatz bleibt in der Zutatenliste ersichtlich – meist schwer lesbar.

Tankstellen: Nicht nur Benzin kann da getankt werden, auch Alkohol. Die Kantone möchten den Alkohol-Zapfhahn zudrehen.
Und wenn der flüssige Stoff ausgeht, liefern unter Applaus der Presse "junge Unternehmer" die ganze Nacht Nachschub nach Hause.

Alkoholprävention: "Für die Alkoholprävention haben wir praktisch kein Geld mehr", erklärte der Direktor des Bundesamtes für Gesundheit am 24. 09. 2006 in einem Interview. "Deshalb müssen wir die verschiedenen Finanzquellen mit den verbleibenden Mitteln möglichst effizient einsetzen inklusive jene aus dem Tabakpräventionsfonds und der Gesundheitsförderung. Dafür braucht es aber ein Präventionsgesetz."

Steuern und Werbung: Ein Expertenbericht von WHO und OECD rät der Schweiz, sie solle die Steuern auf Alkohol und Tabak erhöhen und die Werbung dafür verbieten.

Alkohol-Lobby: Wie die Lobbyisten der Alkoholindustrie – soweit sie nicht selber in den Parlamenten sitzen – die schweizerische Alkoholpolitik beeinflussen, ist nicht bekannt. Bei der Erarbeitung der alkoholpolitischen Strategie der EU dagegen ist das klar geworden. «Bedauerlicherweise hat die Alkoholindustrie ihre Fingerabdrücke auf diesem Papier hinterlassen», meint McNeill von Eurocare. «die Alkoholindustrie hat sich dafür eingesetzt, dass ihr Profit höher gewichtet wird als die Bedürfnisse der Bevölkerung. EU Beamte, die nicht direkt mit Gesundheitsfragen befasst sind, haben ihrem Druck schliesslich nachgegeben», sagt Dr. Anderson.

Biersteuer: Die Biersteuer war ein parlamentarischer Zankapfel. Abschaffen? Senken? Zum Schutze der Jugend erhöhen? Mit Bier kostet ein Vollrausch nur 3 Franken! Weder noch, ganz im Gegenteil. Eingefügt wurde Satz: " Er beachtet dabei die Bedürfnisse des Jugend- und Gesundheitsschutzes". Abgelehnt wurde dagegen:" Ein angemessener Teil des Steuerertrages ist zur Bekämpfung der Ursachen und Wirkungen von Suchtproblemen zu verwenden." Im Rat wurde auf das kommende Präventions-Strategiepapier vertröstet. (Der Wein bleibt – von der MWST abgesehen – steuerfrei.)

Alkoholverwaltung: Dem Nationalrat ist die (zu?) selbständige Alkoholverwaltung wieder einmal ein Dorn im Auge. Ihre Aufgaben sollen aufgeteilt werden. Damit würde wohl der Einfluss der Lobbyisten einfacher gegen Steuern und Kontrolle einfacher.

Absinth: Seit März 2005 sind Produktion von und Handel mit Absinth wieder erlaubt. Die Brennereien, die sich legalisieren wollen, brauchen aber eine Konzession. Bis Ende 2006 wurden die 250-300 Schwarzbrennereien toleriert. Ob Absinth trotz Legalisierung ein Kultgetränk bleibt oder wird, ist unklar. Die Presse macht regelmässig Schleichwerbung dafür.

Alkohol- und Tabakwerbung: In zwei Volksabstimmungen haben die Schweizer ein Verbot der Suchtmittelwerbung abgelehnt. Kantonsweise wird nun die Plakatwerbung für A+T diskutiert und meistens abgeschafft; die Privatsender dagegen dürfen ihre Finanzen mit Alkoholwerbung sanieren. In Basel-Land verbietet das neue Alkohol- und Tabakgesetz den Verkauf von Tabakwaren an Jugendliche unter 18 Jahren. Ebenso Alkohol- und Tabakwerbung mit Plakaten auf öffentlichem Grund und an öffentlichen Gebäuden. Verboten wird Werbung auf privatem Grund für Spirituosen, falls sie von öffentlichem Grund aus einsehbar ist.

Rauchfrei: In Europa führt ein Land nach dem anderen Rauchverbote in Gaststätten und anderen öffentlichen Räumen ein, z. B. Irland, Italien, Frankreich... In der Schweiz kommt es in jedem Kanton zu Auseinandersetzungen Gesundheit und Tabakwirtschaft.

Unglücksspiel: Die Schweiz hat weltweit die grösste Kasino-Dichte: je 350'000 Einwohner ein Grosscasino. "Das Spielsuchtpotential wir maximal stimuliert und maximal ausgebeutet", meint Fachmann Mario Gmür. Täglich werden 10 Spieler von Spieltischen und -automaten ausgeschlossen – die Spitze vom Eisberg. Und da überlegt sich der Bundesrat als oberster Spiel-Politiker, ob er weitere Konzessionen vergeben soll. Die Casinos machten 951 Millionen Reingewinn und verlangen Steuersenkungen.

"Nur griffige Gesetze halten Menschen wie Konzerne in den Schranken. Absichtserklärungen sind schön, aber sobald sie dazu da sind, klare Regeln durch Freiwilligkeit zu ersetzen, sind sie gefährlich." (Gret Haller)

Eduard Muster
(Dieser Rückblick ist im Blaukreuzkalender 2007 erschienen.)


Alkoholpolitische Rundschau 2005

Was ist Alkoholpolitik?
Seit es Alkohol und staatliche Autorität gibt, gibt es Vorschriften zu Produktion, Handel und Konsum alkoholischer Getränke, gibt es eine Alkoholpolitik. Die Ziele dieser alkoholpolitischen Vorschriften sind unterschiedlich: Steuern für den Staat zu erheben, einheimische Produktion zu bevorzugen oder die Bevölkerung vor gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Schäden zu schützen. Wir gehen hier nur auf die Alkoholpolitik zum Schutz der Gesundheit ein.

Endlich 0,5 Promille
Über 40 Jahre lang haben die Fachleute (von der WHO über die Gerichtsmediziner bis zu den Abstinenten) sich für die Promille Höchstgrenze von 0,5 eingesetzt. Endlich haben sich auch die Schweizer Politiker dazu durchringen können. Diskutiert und getestet wurde ab Neujahr 2005, wie viel man (und frau) trinken kann, ohne dass der Ernstfall eintritt und ohne dass Wirte (deswegen?) Konkurs gehen. Wie einfach wäre doch «Wer fährt..."»!
Zur Überraschung vieler Stammtischpolitiker und Parlamentarier haben die neue Grenze und vermehrte Atemtests gewirkt: Im Jahr 2005 ist die Zahl der Unfälle mit Alkohol gesunken.

0,5 Promille = max. 1 Glas
Das zuständige Gericht in Bern und der Bundesrat lehnen Klagen gegen die Kampagne ab.

Absinth
Fast ein Jahrhundert lang war in der Schweiz der Absinth illegal, gefälscht oder nachgeahmt. In der neuen Bundesverfassung wurde das Verbot weggelassen; es war also einfach, den Neuenburgern nachzugeben und die «Grüne Fee» auf den 1. März 2005 wieder zum Leben zu erwecken. Ob die grosse Medienkampagne für das Kultgetränk unserer Urgrosseltern Wirkung zeigt, wissen wir noch nicht' «Un public plus jeune» und «plaire aux femmes» sind die Absichten der Produzenten. Immerhin enthält der «neue» Absinth weniger Alkohol und fast kein Thujon also weniger Gift.

Zu viele Wirtschaften?
Schon vor den ominösen 0,5 gingen täglich 2 Wirtschaften Konkurs; jede vierte wechselte jährlich den Wirt. Trotzdem nimmt die Zahl der Wirtschaften Jahr für Jahr zu. Die Liberalisierung der Gesetze ist zu weit gegangen. Gilt bald wieder « Wer nichts wird, wird Wirt»?
Leider geht die Liberalisierung weiter: «Kernpunkt der Revision ist die Abschaffung des so genannten Fähigkeitsausweises» im revidierten Gastgewerbegesetz des Kantons Schaffhausen. Im neuen Binnenmarktgesetz soll er gesamtschweizerisch fallen. «Konkurrenz macht das Gewerbe stark», meint der Bundesrat. Die Räte wollen aber, dass mindestens Hygienekurse obligatorisch erklärt werden können Kurse über Jugendschutz und Promille meiner Meinung nach erst recht.

«Sterbehilfe vom Staat»
So titelt der TagesAnzeiger den Vorschlag des Cafetier Verbandes, die 10'000 überflüssigen Wirtschaften mit Beiträgen aus dem Alkoholzehntel zu schliessen. Gewinne den Privaten Verluste dem Staat. Die Gesundheit ist Nebensache.

Jugendliche
Nur eine kurze Notiz in der Presse verdiente die «phänomenale» Aktion in einer Gewerbeschule: 51 von 60 Lehrlingen lebten einen Monat lang alkoholfrei. Soll ich mich darüber freuen oder traurig sein? In einem anderen Kanton war dagegen «einer von fünf 15jährigen Schülern jede Woche mindestens einmal betrunken».
Ich wiederhole: «Jede Flasche in der Hand eines Kindes oder eines Jugendlichen war vorher in der Hand eines Erwachsenen.» Testkäufe des Blauen Kreuzes haben gezeigt, dass trotz Verbot Kinder unter 16 Jahren Bier und Jugendliche unter 18 Jahren Spirituosen kaufen können.

Sind Schule und Eltern schuld?
Der Stadtrat von Illnau Effretikon verweist nach dem schlechten Abschneiden der Geschäfte bei Testkäufen auf die Schulprävention und betont, die Eltern seien für den Alkoholkonsum ihrer Kinder verantwortlich. Die Stadt verzichtet auf strengere Kontrollen.

Verrat an der Jugend?
Das revidierte Gastwirtschaftsgesetz von Basel-Stadt führt die Polizeistunde wieder ein. Die Gegner meinen, dies sei ein Verrat an der Jugend und Basel sei auf dem Weg zur Schlafstadt.

«Bar-Festivals»
Zu den «belebenden» Wirkungen der liberalisierten Gastwirtschaftsgesetze gehört auch das Aufblühen der Bar-Festivals. Das als Alibi gebotene Musikangebot stösst allerdings auf weniger Interesse bei den Besuchern als das Getränke-Angebot.

Weniger Alkohol getrunken:
Im Jahr 2004 wurden je Einwohner 4o Liter Wein, 57 Liter Bier und 3,9 Liter Spirituosen getrunken, die zusammen 8,9 Liter reinen Alkohol enthielten so wenig wie nie seit vielen Jahren. Produzenten und Händler überlegen sich, wie man den Konsum wieder beleben könnte:
Mit süssem Bier sollen Frauen vermehrt gewonnen werden. Die Weinindustrie ihrerseits wird vermehrt auf die angeblich gesundheitlichen Werte des Weines hinweisen.

Gnade für Leichtbier
Die eher symbolische Biersteuer soll dem Alkoholgehalt angepasst werden, was für die Leichtbiere eine Herabsetzung bedeutet wird.

Nez rouge
Der Fonds für Verkehrsicherheit hatte beschlossen, seinen bescheidenen Beitrag an die Aktion «Nez rouge» zu streichen; der kostenlose Heimtransport angeheiterter Autofahrer wirke nicht präventiv. Der Bundesrat hat diesen Entscheid bestätigt.
Die Aktion kann aber dank Beiträgen aus kantonalen Lotteriefonds weitergeführt werden. (Übrigens: «Nez rouge» nennt sich nicht nach den roten Nasen der Konsumenten, sondern nach «Rudolf, dem kleinen Rentier», das mit seiner leuchtend roten Nase dem Weihnachtsmann heimleuchten konnte.

Alles im Griff?
Aufgrund von Sparmassnahmen lanciert «Alles im Griff?» im 2005 keine neue Kampagne, sondern setzt die bestehenden Plakate weiter ein. Wie bis anhin werden diese an strategisch wichtigen Stellen zu sehen sein.

Radio- und Fernsehwerbung
Im Jahre 1964 beschloss der Bundesrat bei der Einführung der Werbung im Fernsehen: «Reklame für alkoholische Getränke, Tabakwaren und Heilmittel ist unzulässig.» Seither wurde «Reklame» durch das weniger anstössige Wort «Werbung» ersetzt und die Medikamentenwerbung zugelassen. Im revidierten Radio- und Fernsehgesetz soll nun die Finanznot der lokalen Sender durch Alkoholreklame erleichtert werden. (Für Spirituosen ist sie im Alkoholgesetz verboten.)
Die Plakatwerbung für Alkohol und Tabak hingegen steht in mehreren Kantonen vor dem Verbot. Durch Werbeverbote für Tabak in der EU droht die Schweiz auch noch zur Werbeinsel zu werden.

Nochmals Fernsehen und Alkohol
Werbung für Alkohol ist zwar verboten, aber wenn ein Bier oder Wein häufig in eine Sendung eingeblendet wird, ist das Gratiswerbung. Das Bundesamt untersucht, ob so das Verbot gratis oder doch bezahlt umgangen wird.

Sport und Alkohol
Gehört Bierwerbung zum Massensport? Für die Produzenten sicherlich, denn die Werbewirkung ist gross und entsprechend der Konsum vor, während und nach den Spielen. Nach Siegen gibt es oft Freinächte und Freibier, damit das seltene Ereignis gebührend gefeiert werden kann.
Aus gesundheitlicher Sicht allerdings passen Alkohol und Sport nicht zusammen, aber der Kommerz ist stärker. So lehnte es der Bundesrat ab, Subventionen nur an Sportvereine und veranstaltungen zu gewähren, die sich nicht mit Alkoholwerbung finanzieren.

Alcopops
Seit der Einführung der Sondersteuer ist der Markt zusammengebrochen Steuern sind wirksame Präventionsmassnahmen. Aber auch die Ersatzprodukte, die weniger als 50 Gramm Zucker enthalten und deshalb nicht der Sondersteuer unterworfen sind, haben bislang wenig Erfolg, da sie anscheinend nicht mehr so vielen schmecken.

Aktionspläne
Seit dem Jahr 2000 gibt es einen Nationalen Alkoholaktionsplan (NAAP) mit den Aktionen hapert es noch. Es gibt regelmässig Veranstaltungen, um kantonale Pläne (KAAP) ins Leben zu rufen. An der Tagung im Juni wurde festgestellt, dass die Schweiz beim Jugendschutz in Sachen Alkohol (auch hier!) nur im europäischen Mittelfeld zu finden ist.

Wer mischt sich hier ein?
Die Stockholmer Deklaration der WHO von 2001 zu Jugend und Alkohol hält ausdrücklich fest: «Gesundheitspolitik bezüglich Alkohol muss vom öffentlichen Gesundheitswesen formuliert werden, ohne Einmischung seitens kommerzieller Interessen.»

Bericht: Eduard Muster, Ecublens


Alkoholpolitische Rundschau 2004

Kinder im Alkoholkoma: Regelmässig werden Kinder mit einer Alkoholvergiftung in Spitäler eingeliefert. Eine alkoholpolitische Frage: "Wie kommen Kinder zu soviel Alkohol?" Eine alkohol-informative Frage: "Warum wissen Kinder nicht, dass Alkohol tödlich sein kann?"

0,5 Promille: Nach über vier Jahrzehnten Diskussion konnte sich die Schweiz zu 0,5 Promillen im Strassenverkehr durchringen. ("0,5" heisst nicht etwa "drunter ist alles erlaubt", sondern "von da an sind Strafen obligatorisch".) Unseren Parlamentariern ist es allerdings gelungen, ein sehr kompliziertes Mehrstufensystem aufzubauen. Trotzdem: 0,5 und verdachtsfreie Atemluftprobe sind ein gewaltiger Sprung in die richtige Richtung.

Man arrangiert sich: Die 0,5 Promille hat die Phantasie der Schweizer angeregt. Wie kann man den Wunsch nach Sicherheit, nach Genuss und nach Verdienst unter ein Glas, d.h. unter einen Hut bringen? "Eins ist o. k." lautet die offizielle Parole. Polizeibehörden wären mit "Wer fährt trinkt nicht" offensichtlich glücklicher. "Aber keines ist noch besser!" Das grosse Rechnen, Schiebern und Blasen geht los: "Darf ich noch?" Bier und Wein mit reduziertem Alkoholgehalt werden angeboten, kleinere Flaschen stehen auf den Tischen, eine angebrochene Flasche darf nach Hause genommen werden. Eher zweifelhaft ist das Schwarz-Peter-Spiel: Wer den Schwarzen Peter zieht, darf nicht trinken. Und schliesslich gibt es noch "Nez rouge" für die roten Nasen.

Nez rouge: Die Aktion ist gefährdet. Der Fonds für Verkehrssicherheit will sie nicht mehr finanziell unterstützen.

Weniger Alkoholprävention wegen Sparmassnahmen: Das Bundesamt für Gesundheit muss seine breit angelegte Werbekampagne gegen den Alkoholmissbrauch einstellen. Grund sind die vom Parlament beschlossenen Sparmassnahmen.

5,0 Promille: Dass ein Glas ein halbes Promille macht, wissen nun alle; dass aber 5 Promille und mehr tödlich sind, ist offensichtlich nicht so bekannt: Ein neues Spiel "Xupito" verlangt, 12 Gläser Schnaps in 2 Minuten zu trinken. Das garantiert 4 bis 6 Promille und ein alkoholisches Koma.

Absinth erlaubt: Am 1. März 2005 verschwand eine – wie die Pressemitteilung des Bundes behauptet – "unzeitgemässe Sonderregelung endgültig", nämlich das in der Volksabstimmung vom 5. Juli 1908 angenommene Absinthverbot - aber ohne neue Volksabstimmung. Zum Schutz der Gesundheit wurde der zulässige Gehalt an giftigem Thujon limitiert. Absinth ist nun ein Schnaps wie jeder andere, da er auch den Ruch des Verbotenen verloren hat. – Die Berichte in den Medien bereiten das Volk auf den neu-alten Stoff vor; eine wohl organisierte Werbekampagne hätte es nicht besser tun können...

Brücken schlagen: Eurocare hat in Warschau Vertreter der EU-Mitgliedsländer (und der Schweiz!) mit dem ehrgeizigen Ziel zusammengebracht, Forschende und politisch für die Alkoholpolitik Verantwortliche miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Forschenden zeigen uns, dass die weitaus wirksamsten Massnahmen die Zwangsmassnahmen sind, die der Staat verordnen kann: Alkoholverkaufsverbot für Minderjährige, Beschränkung der Alkoholverkaufsstellen, hohe Steuern, Alkoholkontrollen am Steuer. Umgekehrt zeigt sich, dass die Verhaltenskodexe für Alkoholhändler, die erzieherischen Massnahmen, die Präventionsmassnahmen und die Warnungen über die Gefahren des Alkohols – gemessen am grossen Aufwand – weniger effektiv sind. (Die neun Schweizer Teilnehmer werden diese Botschaft bei uns verbreiten.)

Flaute im Gastgewerbe: Die Liberalisierung im Gastgewerbe scheint der falsche Weg zu sein: Der Branchenverband meint, es gebe 10'000 Wirtschaften zu viel – und sie seien zu lange geöffnet: BS will die Polizeistunde wieder einführen. Aus verschiedenen Kantonen kommen Beschwerden über mangelnde Hygiene innerhalb und zu viel Lärm und Messerstechereien ausserhalb von Wirtschaften. "In Zürich wechseln Wirte im Wochentakt."

Video – Benzin- Alkohol? Das Stimmvolk des Kantons Genf hat das Verbot des Verkaufs von Alkohol in Tankstellenshops und Video- Läden sowie generell zwischen 21 Uhr und 7 Uhr gutgeheissen. "Vollrausch oder Kommerz?" titelte die "Tribune de Genève"; die Gegner sprachen von "Prohibition".

Street-Parade – Alkoholparade? Erstmals durfte an der Zürcher Parade am Umzug und in temporären Bars Alkohol ausgeschenkt werden. Die Zahl der Schlägereien hat (deswegen?) zugenommen. Die Stadt will ihre Bewilligungspraxis überprüfen.

Ernst gemacht mit den Vorschriften wurde im Waadtland: Einer Bar, die Alkohol an Kinder ausgeschenkt hatte, wurde für einen Monat das Alkoholpatent entzogen. Eine andere, die keinen verantwortlichen Patentinhaber finden konnte, wurde geschlossen.

Eltern oder Staat? Der Zürcher Kantonsrat lehnt die Einführung der Ausweispflicht für Jugendliche beim Kauf von Alkohol. Die Eltern sollen sich darum kümmern. Darf der Staat sich von der (Mit)Verantwortung drücken?

Lüthi & Blanc und Alkohol beschäftigen die TV-Aufsicht und Bundesrat: Bei rund einem Drittel der 40 Produkte, die je Sendung in dieser Schoggi-Soap-Oper sichtbar sind, handelt es sich um Alkoholika – trotz Werbeverbot...

Wein in der Migros? Keine alkoholpolitische Frage, aber ein Ja wäre trotzdem katastrophal.

Die Schweizer Jugend ist Spitze im Kiffen und Alkohol trinken. Schweizer Jugendliche betrinken sich häufig. (z.B. mehr als die Hälfte der 16-Jährigen tun dies regelmässig.) Beim Cannabis-Rauchen stehen die Schweizer an der Spitze, beim Rauchen im Mittelfeld. (Die Ergebnisse der PISA-Studie und das Ski-Desaster in Bormio haben die Öffentlichkeit mehr aufgeregt als diese Zahlen. Man ging zur Tagesordnung über...) Vergessen wir nicht: Jeder Schluck Alkohol, den Jugendliche trinken, ist vorher durch die Hände von Erwachsenen gegangen!

Alcopops: Die Erhöhung der Steuer auf den 1. April 2004 hat gewirkt: Importe und Konsum sind gesunken und fast verschwunden. Die Ersatzprodukte, auch farbig, aber weniger süss, finden (noch) wenig Anklang. Zukunft scheint hingegen gesüsster Champagner zu haben oder verfärbte Biere.

Alkoholverwaltung: Der Bundesrat lehnt eine Motion zur Aufhebung der Alkoholverwaltung (wieder einmal) ab.

Biere sollen nach Alkoholgehalt besteuert werden, meint die zuständige Behörde.

Grenzenloses Werbeverbot: Die EU-Staaten dürfen die Fernsehwerbung für Alkohol und Tabak auch bei überstaatlichen Sportübertragungen verbieten.

Fussball-Bier: Carlsberg wird neuer Co-Sponsor der Schweizerischen Fussball-Nationalmannschaft. Die Geschäftsleitung der Feldschlösschen hat einen entsprechenden Vier-Jahres-Vertrag unterzeichnet.

Eishockey-Bier: Der Schweizer Eishockeyverband hat einen neuen Goldsponsor: Kronenbourg ersetzt Feldschlösschen.

Segel-Bier: Kronenbourg geht auch beim Team Alinghi als Sponsor an Bord.

Alkohol und Sport passten schlecht zusammen, meint der Fernsehsender "Eurosport" und verzichtet auf Alkoholwerbung.

30 Millionen wollen die privaten Radio- und Fernsehsender mit Bier- und Weinwerbung einnehmen. Es sei ungerecht, dass nur die ausländischen Sender und die Schweizer Printmedien vom Geldsegen profitieren. Gerechtigkeit ist offensichtlich gefragt, wenn es ums Geld geht.

Passivrauchen ist europaweit unter Beschuss geraten. In der Schweiz geht man zögernd vor. Die Wandelhalle im Bundeshaus ist schon rauchfrei.

Casinos: Die Casinos erzielten im Jahr 2004 mehr Umsatz als erwartet, nämlich 769 Mio. Die Zahl der Spielsüchtigen ist auch angestiegen. War dieser Anstieg auch unerwartet?

Zu guter Letzt: Der Regierungsrat will im Kanton Zürich ein Verkaufsverbot von Tabak an Minderjährige einführen. Zudem sollen Tabak- und Alkohol-Werbung auf öffentlichen Grund und auf offen einsehbaren Privatgrund verboten werden. Allgemein zugängliche Zigaretten-Automaten sollen aus dem Verkehr gezogen werden. Die "interessierten Kreise" behaupten, damit werde der Wirtschaft generell geschädigt. (Als der Chronist vor Jahrzehnten diese Vorschläge an einer Sitzung beim Gesundheitsamt vorbrachte, wurde er als Spinner verlacht.)

Noch einmal, weil es so schön ist:
Der Entwurf der Regierung des Kantons Basel-Land für ein kantonales Alkohol- und Tabakgesetz sieht vor, den Verkauf von Tabakwaren an Minderjährige (unter 18 Jahren) zu verbieten. Der Verkauf von Tabakwaren via Verkaufsautomaten soll grundsätzlich verboten werden. Jede Art von Werbung für alkoholische Getränke und Tabakwaren auf öffentlichem Grund und an Orten, die von öffentlichem Grund aus einsehbar sind, soll untersagt werden. Das vorgesehene Verbot erstreckt sich auch auf Werbung an und in öffentlichen Zwecken dienenden Gebäuden und Gebäudeteilen und auf ihren Arealen sowie auf Anlagen, welche im Besitz des Kantons, der Gemeinden oder von öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten sind.

Eduard Muster

(Dieser Rückblick ist im Blaukreuzkalender 2007 erschienen.)

Alkoholpolitische Blitzlichter 2003

Es taget vor dem Walde... Die Schweizer scheinen von der Demontage der alkoholpolitischen Massnahmen langsam genug zu bekommen. Es mehren sich die Wünsche, das Steuer herumzureissen. Es sind sogar erste Ergebnisse zu sehen. Überdenken und umdenken ist aber schmerzhaft und braucht Zeit.

0,5 Promille: Jahrelang dauerte das Seilziehen zwischen Experten, Wirtschaftsvertretern, Blaufahrern, Bundesrat, Parlament und Polizei. Aber auf den 1. Januar 2005 kann endlich die Promillegrenze auf 0,5 gesenkt werden. Nun haben wir 2 Gefahrenzonen: Von 0,5 bis 0,79 und über 0,8. Dabei darf nicht vergessen werden, dass schon von 0,3 bis 0,5 die Verkehrstüchtigkeit herabgesetzt ist.

2004 oder 2005: Ursprünglich war die Herabsetzung schon auf den 1. Januar 2004 geplant; aber die Polizei war noch nicht bereit (?). Wohltätige Wirkungen waren glücklicherweise schon Ende 2003/Anfang 2004 zu sehen: Die Aktion "nez rouge" führte eine Rekordzahl von angeheiterten Fahrern nach Hause, Wirte subventionieren die Heimkehr per Taxi, Brauereien bieten "Halb-Bier" an.

Blasen: Fast noch wichtiger ist die verdachtsfreie Atemluftprobe, welche u. a. die Fachstelle für Alkoholprobleme in Lausanne schon 1978 gefordert hatte: "Fahrzeugführer sowie an Unfällen beteiligte Strassenbenützer können einer Atemalkoholprobe unterzogen werden."

Steuer auf Alcopops: Auf den 1. Februar 2004 ist eine Sondersteuer auf Alcopops eingeführt worden: Die Flasche kostet nun rund 4 Franken statt wie bisher 2.80. Damit sollen Jugendlichen die süssen alkoholhaltigen Mischgetränke verleidet werden. Leider bleiben die Erwachsenen (noch einmal) verschont, obwohl der Spirituosenkonsum seit der massiven Steuersenkung zugenommen hat. "Interessierte Kreise" dulden nicht, dass die Steuer auf alle Spirituosen erhöht oder sogar eine wirksame Alkoholsteuer auf alle Alkoholika erhoben wird.

Verboten: Es gibt allerdings schon ein Gesetz, das den Verkauf von Alcopops an Minderjährige überhaupt verbietet. Woher erhalten dann die Kinder ihre Flaschen? Testkäufe haben gezeigt, dass vor allem in Kiosken, Tankstellen und kleine Läden sogar Jugendliche unter 16 Jahren zu leicht an alkoholische Getränke kommen. Ausweis werden noch nicht konsequent kontrolliert – und die Geschäfte auch nicht.

Tuben-Wodka: Seit Ende November 2003 sind in der Schweiz bereits 100'000 Tuben mit Wodka-Mischgetränken verkauft worden. Der neuste Gag sorgt aber für Ärger – der Bund ist bereits eingeschritten.

Tankstellen usw.: Spätabends noch Alkohol zu verkaufen, sei aus gesundheitspolitischer Sicht nicht erwünscht, sagt Christoph Zurbrügg von der Alkoholverwaltung. Auch wegen der Verkehrssicherheit sei es besser, zu solchen Risikozeiten keinen Alkohol zu verkaufen. Der Spirituosenverband dazu: " Ein Verbot bringt nichts. Wichtiger wäre, dass mit Mass getrunken wird..." Der Kanton Genf hat trotzdem ein Gesetz verabschiedet, das den Verkauf aller Alkoholika an Tankstellen und Videoläden verbietet. Ein Grossrat und Weinbauer war dagegen und warnte vor dem Anfang einer Prohibition...

Alkoholprävention in der Gemeinde: Bereits über 35 Gemeinden haben sich dafür entschieden, den risikoreichen Alkoholkonsum auf Gemeindeebene zu bekämpfen. Das Projekt «Die Gemeinden handeln!» wurde von der Radix Gesundheitsförderung ausgearbeitet. Es ist ein Projekt im Rahmen des Präventionsprogramms «Alles im Griff?».

Tabakreklame: In 15 Kantonen sollen öffentliche Tabak- und z. T. auch Alkoholplakate verschwinden. Eine Parlamentarische Initiative für ein gesamtschweizerisches Verbot der Tabakwerbung hat der Nationalrat knapp abgelehnt. Die eingeschwärzten Plakate, Inserate und Werbespots der "Allianz gegen Werbeverbote" hatten offensichtlich die Parlamentarier glauben gemacht, es gehe der ganzen Werbung an den Kragen. "Werbefreiheit ist Gewerbefreiheit" wird behauptet.

Subventionen für Weinwerbung: Die neue "Swiss Wine Communications", vom Bund mit 5 Millionen subventioniert, will den Weinabsatz vor allem bei Jungen, Deutschen und Belgiern fördern. 80% des Budgets soll ins Inland fliessen. Dazu die SonntagsZeitung: "Wer so dumm ist, die Vermarktung von minderwertigen Weinen mit Steuergeldern zu subventionieren, müsse auch dumm genug sein, diese zu trinken... " Bundesrat Deiss lehnt ab, die Importbeschränkungen im Weinsektor wieder zu verschärfen.

Absinth: Der Ständerat unterstützt einstimmig die Forderung, das Absinth-Verbot aufzuheben. Die "Grüne Fee" soll Werbeträgerin des Val-de-Travers werden. (Seit dem 1. Januar 2000 ist zwar der Verfassungsartikel zum Absinthverbot - im Zusammenhang mit der gesamten Überarbeitung der Bundesverfassung – gestrichen. Das Absinthverbot blieb aber nach wie vor im Lebensmittelgesetz und der Lebensmittelverordnung bestehen. Erlaubt sind "Nachahmungen" mit niedrigem Gehalt des Giftstoffes Thujon.)

Festhütte oder Ausgehstadt: Die Stadt Zürich will Massnahmen gegen das Überborden der Zahl der Wirtschaften ergreifen; es soll verhindert werden, dass Zürich "zur Festhütte verkomme". Der Kantonsrat ist aber gegen Einschränkungen. Sie wurden nach der Sitzung mit Champagner belohnt. - Winterthur hingegen möchte "Ausgehstadt" werden; der Reinigungsaufwand in der Innenstadt hat schon zugenommen.

Zu viele Wirtschaften: Der Cafetier-Verband beklagt, das Gastgewerbe dürfte eine der einzigen Branchen sein, wo der Einstieg so einfach gemacht wird: Pro Jahr würden über 900 neue Wirtschaften eröffnet ... und über 400 machten Konkurs. 10'000 der 28'000 Gaststätten seien zu viel. Drei Millionen Sitzplätze stehen zur Verfügung. Die halbe Schweiz hätte fast auf einmal Platz!

Noch nichts gemerkt: Der Kanton Basel-Landschaft hat Ende November die Bedürfnisklausel für Alkoholwirtschaften abgeschafft.

Autobahnraststätten: Der Bundesrat lehnt es ab, das Alkoholausschankverbot an den Autobahnen auszuheben. Die Benachteiligung gegenüber andern Wirtschaften überzeugte ihn nicht.

Hygiene ist Charaktersache: Die Lockerungen der Vorschriften für die Eröffnung und den Betrieb von Wirtschaften bedrohen die Sauberkeit in gewissen Wirtschaften. "Charaktersache" meinte ein Lebensmittelinspektor.

Sparen am falschen Ort: Eine Parlamentarierkommission des National- und Ständerats will im Zuge des Entlastungsprogramms für die Bundesfinanzen die finanziellen Mittel für Prävention und Gesundheitsförderung massiv kürzen. In ihrer Sparwut wollen die Volksvertreterinnen und Volksvertreter sich nicht mit den 15 Millionen Franken weniger an Mitteln begnügen, die der Bundesrat dem BAG für die Jahre 2004 bis 2006 zugemutet hat, sondern sie haben die zu sparende Summe gleich verdoppelt.

TV-Werbung: Noch immer droht der Wunsch, die Privatsender mit Alkoholwerbung zu retten. (Das Werbeverbot für rezeptfreie Medikamente ist ja bereits geopfert worden.) Der Bundesrat ist dafür, das Parlament hat noch nicht gesprochen.

Alkoholkonsum kostet: Übermässiger Alkoholkonsum verursacht in der Schweiz Kosten und Verluste in der Höhe von schätzungsweise 6,5 Milliarden Franken pro Jahr.

Spielsucht: Die Zahl der Spielsüchtigen in der Schweiz wird auf 200'000 geschätzt. Der höhere Hauptgewinn beim Zahlenlotto ab 2004 soll es noch attraktiver machen, nein nicht süchtig zu werden, sondern Lotto zu spielen... Im Oktober 2004 wird zudem das europäische Millionenlotto auch in der Schweiz eingeführt werden. P. S: Die Casinos haben im Jahr 2003 Rekordgewinne gemacht.

Tänzerinnen: Für Cabaret-Tänzerinnen gilt ein neuer Arbeitsvertrag. Gebessert hat sich noch nicht viel. Noch immer müssen sie ihre Kunden zu Champagner verführen und selber ihre Gesundheit durch übermässigen Alkoholkonsum gefährden.

Eduard Muster
(Dieser Rückblick ist im Blaukreuzkalender 2005 erschienen.)


Alkoholpolitische Blitzlichter 2002

Seit über dreissig Jahren... verlangen alle Fachleute 0,5 Promille nein, sie wollen nicht, dass man mit 0,5 fährt, 0,0 oder «Zero Toleranz» wäre richtig sie wollen, dass ab 0,5 Promille Strafen und Massnahmen obligatorisch werden. Die Experten der WHO waren schon in den 60 er Jahren dieser Meinung, später auch die BfU, die SAS, die SFA ISPA, die ASA, die Gerichtsmediziner, die vom Bund, von der EU, vom Europarat mehrmals bestellten Fachkommissionen, die... Jetzt rechnet man damit, dass ab Anfang 2004 die niedrigere Grenze gilt. 72% der Bevölkerung sind damit einverstanden.

Seit über 30 Jahren... gibt es im Schweizer Fernsehen keine Alkoholreklame, auch gar keine Alkoholwerbung, seit das neue Wort offiziell geworden ist. (Nur etwas Schleichwerbung...) Eigentlich konnten wir damit gut leben. Aber nun will der Bundesrat die Privatsender mit Alkohol von ihren finanziellen Leiden heilen und die Werbevorschriften den «europäischen Mindeststandards» anpassen. «Alkohol als Heilmittel» ist ein ärztlicher Kunstfehler, Alkoholwerbung als Heilmittel ist politische Kurpfuscherei.

Vor über dreissig Jahren... glaubten alle, ausser den finanziell direkt Interessierten, es brauche noch Verbesserungen, d.h. Einschränkungen in der Alkoholgesetzgebung, in der Lebensmittelverordnung und den kantonalen Wirtschaftsgesetzen usw. Seither hat der Wind gedreht, es gibt Wirrköpfe, die sogar die Alkoholverwaltung, die kantonalen Wirtschaftsgesetze, die Alkoholsteuern und die Lebensmittelkontrolle abschaffen wollen. Wir sind auf dem besten halt auf dem schlechtesten Weg dazu. Die Folgen? Eine davon sehe ich jeden Morgen im Park, wo die Wodkaflaschen und ihre Scherben herumliegen.
Mehr getrunken: Seit der Liberalisierung wird mehr konsumiert, meldet die Alkoholverwaltung. Im Jahr 2001 wurden in der Schweiz pro Person 3,9 Liter Spirituosen (gegenüber 3,6 Liter im Jahr 1999) getrunken. Dazu kommen 43 Liter Wein, 3 Liter Obstwein und 57 Liter Bier. Vor allem der Konsum der süssen, aber starken Alcopops und Premixgetränke ist enorm gestiegen.

Alcopops: Der Konsum ist explodiert: Von 2000 bis 2002 ist er von 1,7 Millionen auf 39 Millionen Flaschen pro Jahr gestiegen, und die Lust am Rausch hat zugenommen. Der Bund möchte nun eine Zusatzsteuer erheben und führt eine Kampagne gegen das Rauschtrinken durch.
Nationalrat John Dupraz möchte die Werbung für Alcopops verbieten, nicht aber für Wein. Die bösen Alcopops seien schädlich für die Jungen, denn sie machen, dass Alkohol angenehm zu trinken ist. Als Winzer scheint er zu wissen, wie unangenehm sein Wein ist.

Polizeistunde: Jungfreisinnige Politiker möchten im Kanton Bern die Polizeistunde abschaffen, scheinen aber Mühe bei der Unterschriftensammlung zu haben, glücklicherweise.
Personalmangel und Frustration bei der Polizei machen in der Stadt Freiburg unbeschränkt Freinächte möglich.
Aber: Im Kanton Basel Stadt wird diskutiert, die Polizeistunde wieder einzuführen. Die Polizei und die Nachbarn von Wildwuchs Kneipen haben ihre Erfahrungen gemacht.
Alkoholfreie Getränke: Im Kanton Basel-Stadt halten sich 90% der Gaststätten an den «Sirupartikel» und bieten drei oder sogar mehr alkoholfreie Getränke billiger an als Bier, allerdings glücklicherweise kaum Sirup.

Kein Alkohol in Autobahnrestaurants: Der Bundesrat will am Verbot des Verkaufs und Ausschankes von Alkoholika an den Autobahnen festhalten.
Und: Im neuen Wirtschaftsgesetz des Kantons Waadt bleibt das Verbot bestehen, an Tankstellen Alkohol zu verkaufen.

TV Werbung: Das Fernsehen muss definitiv 5000 Franken Busse für die Alkohol-Schleichwerbung anlässlich der Fussball-WM von 1998 bezahlen.
"Ausverkauf der Volksgesundheit": So nennt die SFA die Pläne, mit Alkoholwerbung das Privatfernsehen zu retten. Die «interessierten Kreise» können allerdings damit leben, wie sie sagen.

Alkohol in den Cafes: 82% der vorher alkoholfreien Cafes setzen im Kanton Zürich auf Alkohol, nur Starbucks verzichtet. In den letzten vier Jahren sollen, laut dem Branchenblatt «expresso», allein in der Stadt 330 neue Nachtcafes eröffnet worden sein.

Kein Alkohol für Jugendliche! Die revidierte Lebensmittelordnung verbietet einheitlich Verkauf und Ausschank von Bier und Wein an Jugendliche unter 16 Jahren. Für Spirituosen gilt die Grenze des Alkoholgesetzes: 18 Jahre. Bei Alcopops muss der Alkoholgehalt deklariert werden; sie dürfen erst an über 18 Jährige verkauft werden. An den Verkaufsstellen müssen Hinweisschilder auf die Altersgrenzen aufmerksam machen. Alkoholische Getränke dürfen nur deutlich unterscheidbar von alkoholfreien zum Verkauf angeboten werden.Ein Test im Kanton Zürich zeigt: in 55% der Fälle kommen 13 bis 15 Jährige zu Bier oder Alcopops. Trotz je nach Alter verschiedenfarbigen Bändern konnte ein 16 jähriger Testkäufer von «20min» an Partys im Kanton Bern Alcopops kaufen. (In der gleichen Nummer berichtet «20min» begeistert: «Weinmesse gut besucht».)

Plakatwerbung: Das Bundesgericht hat bestätigt, dass Kantone die Plakatwerbung für Tabak und Alkohol verbieten können. Dem Kanton Genf wollen nun andere Kantone folgen. 52% der Schweizer begrüssen laut «Coopzeitung» ein allgemeines Verbot von Alkohol und Tabakwerbung. Die interessierten Verbände haben sofort eine «Allianz gegen Werbeverbote» ins Leben gerufen; dem Bürger soll glaubhaft gemacht werden, es gehe gegen alle Werbung und gegen seine ganz persönliche Freiheit.

Alkoholsteuern: Die Alkoholverwaltung prüft nicht nur eine Sondersteuer auf Alcopops, sondern möchte allgemein die Steuern auf gebrannten Wassern erhöhen. Die Importeure wehren sich gegen die Erhöhung, setzen dafür vermehrt auf «Prävention gegen den Missbrauch von Alkohol».

Beizen ohne Bedürfnis: Im Jahr 2001 wurden in der Schweiz jeden Tag durchschnittlich 5 Beizen eröffnet. Dazu passt: In der Stadt Zürich sollen Wirte zu mehr Hygiene in ihren Betrieben angehalten werden.

Swiss Army Pack: Dies heisst nicht etwa, die Armee sei ein «Pack», sondern es ist ein Päckli mit Wein, das die Post als Geschenksendung für die Soldaten vorverpackt bereithält. Wie steht es mit der Einführung der Nulltoleranz für Alkohol und Drogen in der Armee?

Snow Koks: Das ist eine Mischung aus koffeinhaltiger Zitronenlimonade und Stark Bier mit 6,5 Volumenprozenten Alkohol von Kokain keine Spur. Doch der Name, der gleich zwei Bezeichnungen für die illegale Droge enthält, hat's den Kids angetan. (Ein Mädchen macht in der Einladung zu ihrem 15. Geburtstag darauf aufmerksam, dass es dann solche «leicht alkoholhaltige Getränke» gäbe.)

Absinth: Zeitungsartikel erwecken den Eindruck, Absinth sei wieder erlaubt. Das stimmt aber nicht! Erlaubt sind nur absinthähnliche Spirituosen, die keine oder nur geringe Mengen des besonderen Absinth Stoffes Thuyon enthalten. (Das Verbot steht allerdings auch nicht mehr in der Bundesverfassung, wohl aber in der Lebensmittelgesetzgebung.)

Der Landesindex der Konsumentenpreise sank im Dezember um 0,1 Prozent. Die leichte Abnahme ist u.a. auf tiefere Preise für alkoholische Getränke und Tabak zurückzuführen. Einen Anstieg gab es dagegen u.a. bei Erziehung und Unterricht.

Sucht vor der Tür: Casinobetreiber und Suchtberater rechnen mit einer Zunahme der Spielsüchtigen nach der Verfassungsänderung, die eine wahre Casinoschwemme ermöglicht. Alkohol spielt dabei auch eine Rolle: Alkohol erleichtert unvorsichtiges Spielen und, gleichzeitige Abhängigkeit von Spiel und Alkohol ist schwer zu behandeln.

Alkoholpolitik ist Prävention: Zwei, die diese Wahrheit verbreiten, konnten im Berichtsjahr feiern: Die Schweizerische Fachstelle für Alkohol und andere Drogenprobleme (SFA) in Lausanne wurde 100 jährig und das Blaue Kreuz sogar 125 jährig.

Eduard Muster
(Dieser Rückblick ist im Blaukreuzkalender 2004 erschienen.)


Alkoholpolitische Blitzlichter 2001

Der Fluch der bösen Tat: Im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts führten Bund und Kantone in ihrer Gesetzgebung über den Alkohol einen wahren Kahlschlag durch. Sie wollten alle liberal sein und alte Zöpfe abschneiden. Keine Woche vergeht nun, ohne dass von den Folgen - akute Alkoholprobleme - zu lesen ist. Nur schreibt niemand, wer daran Schuld ist.

Alkoholwerbung im Privat-TV: Die Privatsender sollen ihre Finanzprobleme auf Kosten der Volksgesundheit lösen können. Der Bundesrat will ihnen Bier- und Weinreklame erlauben. Auch im neuen Jahrhundert will der Bund liberal und modern sein(?). (Eine deutsche Studie hat gezeigt, dass im Programm selber Alkoholkonsum und Schleichwerbung häufig vorkommen.) Die SRG wurde gebüsst, weil sie einen Werbespot für alkoholfreies Bier ausstrahlt hatte, der von den Zuschauern einfach als Bierwerbung empfunden wurde.

Konkurrenzdruck: Mit der Liberalisierung hat der Konkurrenzdruck im Gastgewerbe zu- und die Qualität in vielen Betrieben abgenommen.

Grüne Fee: Absinth ist in der Schweiz verboten. Erlaubt hat der Kanton Neuenburg nun den "Esprit d'Absinth" - den "Geist" - wenn er nicht über 45° stark ist und das Gift Thujon nicht enthält. Der Absinth soll übrigens auch Ehrengast an der expo.2 sein, allerdings nicht als Getränk. ( Seit 1991 ist Absinth mit Thujon in Deutschland wieder erlaubt; das "Deutsche Ärzteblatt" warnt vor den Folgen.)

Importierter Wein: Die Liberalisierung der Weinimporte hat den Import ausländischer Weine ansteigen lassen. Dagegen haben die Winzer in Bern erfolglos protestiert. Die Importe sind zwar nicht gesunder, aber billiger (s. erster Abschnitt).

Champagner: Im Jahr 2001 ist ein Sechstel mehr Schaumwein importiert worden als im Vorjahr.

Aktionsplan Alkohol: Die Eidg. Kommission für Alkoholfragen hat Ende 2000 dem Bund, den Kantonen und den Fachkreisen einen Aktionsplan zur Prävention von Alkoholproblemen vorgelegt. Leider ist die Reaktion in der Öffentlichkeit und bei den Behörden schwach geblieben.

Woran sich die Jugend berauscht: "Alkoholmissbrauch im Schatten anderer Drogen", schreibt die im Bundeshaus viel gelesene NZZ. Hoffentlich wirkt 's!

Ein Wodka zuviel: Für müde Fahrer gelten (schon jetzt) 0,5 Promille, entschied das Zürcher Obergericht.

Atemlufttest genügt: Das Bundesgericht hat entschieden, dass Atemlufttest und Zeugenaussagen als Beweis für Fahren in angetrunkenem Zustand genügen kann.

Mitgesoffen, mitbetroffen: So titelt der Blick zu einem Urteil des Bezirksgerichtes Uster: "Wer als Mittrinker einen alkoholisierten Automobilisten ans Steuer lässt, macht sich … schuldig und wird bestraft."

Um Mitternacht ist Schluss: Nach Mitternacht werden in Fehraltdorf Jugendliche unter 16 Jahren nicht mehr auf der Strasse toleriert. "Sie betrinken sich mit hartem Alkohol und randalieren." Im Kanton Bern machen sich die Schulen Sorgen wegen den Exzessen der Jugendlichen beim Ende der Schulpflicht. ("Vandalierende Neuntklässler legen Schulbetrieb lahm.") Im Jugendcafé Zollikofen wird Bier ausgeschenkt.

Ohne Kommentar: "Die heutige Regelung der Polizeistunde im Kanton Bern erscheint als zu starr, um den Bedürfnissen der Jugendlichen gerecht zu werden. Mittels einer kantonalen Volksinitiative möchten wir deshalb eine Flexibilisierung der geltenden Regelungen erreichen" (Jungfreisinnige, s. erster Abschnitt).

Abgabealter für Alkohol: Der Bundesrat will bis Ende Jahr über ein gesamtschweizerisch gültiges Abgabealter von 16 Jahren für Bier, Wein und Obstwein entscheiden, heisst es in der Antwort auf einen Vorstoss von Nationalrat Heiner Studer (evp., Aargau).

Im Welschland: Das "Comptoir Suisse" in Lausanne will Jugendliche anziehen. Der Eintritt in die Degustationskeller wird gratis und die Öffnungszeiten werden verlängert. Ein freiwilliger Alkoholtest zeigte bei jungen Leuten hohe Alkoholwerte. In Lausanne stören sich die Einwohner der Altstadt an den neuen Nachtlokalen, die Lärm, Schäkereien und Messerstechereien hervorrufen. (Die Zahl der Alkoholbetriebe hat in 5 Jahren von 306 auf 360 zugenommen.) Gerne möchte man Einschränkungen erlassen (s. erster Abschnitt).

"däts it.": In Berner Klassen des siebenten Schuljahres sollen Jugendliche als Mediatoren zu Alkohol, Tabak und Nikotin ausgebildet werden. Frühenglisch gegen Frührausch?

Prost Hooch: "Lange mussten wir warten, aber es hat sich gelohnt", meint der Importeur, der nun wieder "das vor allem bei Jugendlichen beliebte" Hooch verkaufen darf.

Alkoholverkauf an Jugendliche: Zuerst die schlechte Meldung: Bei Testkäufen, die vom Blauen Kreuz organisiert werden, können Kinder immer wieder Alkohol kaufen. Etwas Hoffnung: Einige Kantone und Gemeinden wollen die Verbote besser kontrollieren, einige wollen etwas Anderes tun. Die gute Meldung: Viele Geschäfte erklären auf Plakaten und in Flugblättern, dass sie weder Bier, Wein und Zigaretten an unter 16jährige noch Spirituosen an unter 18jährige verkaufen.

Wirte ohne Fähigkeit: Auch in Schaffhausen sollen Wirte ohne Ausweis wirten können (s. erster Abschnitt).

Promille: "Wenn ich an den Entscheid des Nationalrates denke, dem Bundesrat die Kompetenz zu verweigern, beim Alkohol die Promillegrenze 0,8 auf 0,5 zu senken, fühle ich mich ohnmächtig und hilflos. Man will offensichtlich unsere Stimme nicht hören." Der Verkehrsmediziner Rolf Seeger ist frustriert.

Promille: "Die Wirtelobby siegt im Promillestreit." "Populistische Schlagseite." "0,5 Promille sabotiert." "Getrübte Urteilskraft." "Politiker auf Schleuderkurs." "Torkelnde Ständeräte." Die Presse geht ungnädig um mit dem Parlament, dessen Mehrheit selber sagen will, wann es genug ist. Aber auch in der ( neunstündigen!) Debatte des Nationalrates fanden sich Perlen: "Ein Gläschen in Ehren kann mir niemand verwehren." (Er sorgt sich um die Muottataler, die nach dem Umtrunk das Auto brauchen.) "Auf den Öffentlichen Verkehr angewiesen zu sein, rechtfertigt nicht, halbbesoffen herumzufahren." "An den meisten Unfällen ist Denken schuld, z.B. wegen Liebeskummer." "0,3 Promille weniger könnten 20 Leben retten."
"Bis ins Jahr 2004 darf noch gebechert werden": So meint die Berner Zeitung. Da das Parlament die Promillegrenze bestimmen will, wird es noch mindestens 2 Jahre dauern, bis die Schweiz wie fast ganz Europa auf 0,5 heruntersteigt. Ohne Alkohol ans Steuer ist aber schon vorher empfehlenswert.

Alkoholleichen auf dem Gurten: "Die Alkoholleichen beim Gurtenfestival werden immer jünger", stellte der Festivalarzt fest. Der Regierungsstatthalter verlangt daher ein Jugendschutzprogramm und Alkoholverkauf nur gegen Ausweis.

Todesursache Alkohol: Eine Studie der SFA zeigte, dass insbesondere junge Männer einen hohen Tribut an den "König Alkohol" zahlen. Fast 11% der Gesamtsterblichkeit der 15- bis 34jährigen Männer waren Mitte der 90er Jahre alkoholbedingt (126 von 1213 Todesfällen im Jahre 1995/6).

Zum Schluss noch starker Tabak: "Wenn die Gesundheit in Gefahr ist, kann man nicht vorsichtig genug sein." So schreibt der Tages-Anzeiger zur Reaktion des Bundesrates zur … BSE. Beim Tabak hält sich der Bundesrat zurück. Wieder der TA: "Also an Hysterie grenzende Vorsichtsmassnahmen in einem Fall und ein schon fast fahrlässiges Desinteresse im anderen." Wie ist es beim Alkohol?

Eduard Muster
(Dieser Rückblick ist im Blaukreuzkalender 2003 erschienen.)


Alkoholpolitische Miszellen
Blitzlichter 2000/2001

Alkohol für Kinder: Erschreckend war das Ergebnis eines Tests der Aktion "Talk About" des Blauen Kreuzes im Kanton Bern: Nur 11 von 79 getesteten Geschäften hielten sich an des gesetzliche Verkaufsverbot. Die gute Meldung: Jetzt wollen Behörden und Geschäfte mit der Innehaltung der Gesetze Ernst machen.

Verkauf von Alkohol an Jugendliche: Das Bundesamt für Gesundheit will in der Lebensmittelverordnung gesamtschweizerisch ein generelles Verkaufs- und Abgabeverbot für vergorene Alkoholgetränke an Personen unter 16 Jahren einführen. Die heutigen Regeln sind kantonal unterschiedlich. Eine einheitliche Regelung besteht heute nur für Schnäpse: Gesamtschweizerisch liegt die Grenze bei 18 Jahren. Über den Konsum von Alkoholika bestehen keinerlei Vorschriften.

Bierkrieg: Bis in die Schweizer Boulevardpresse Wellen schlugen die vier Bierlokale in Mallorca, die für ein paar Tage geschlossen wurden: Sie hatten nach Mitternacht nicht nur die Bierhahnen, sondern auch ihre Lautsprecher voll aufgedreht. Ein Augenschein zeigte, dass niemand deswegen verdurstete…

Biereuropa: Feldschlösschen hat seine Bierproduktion an den dänischen Konzern Carlsberg verkauft, der damit mit 45% Marktleader wird. An zweiter Stelle steht Heinecken (Haldengut, Calanda) mit 20%. Europa kommt!

Weinimporte: Die Liberalisierung der Weinimporte stellt die Schweizer Weinbauern vor Absatzprobleme: Weniger anbauen, billiger verkaufen oder mehr Qualität produzieren? "Als Gott die Schweizer strafen wollte, gab er ihnen Schweizer Wein," soll Dürrenmatt gesagt haben.

Tankstellen-Bier: Das neue Berner Gastgewerbegesetz erlaubt neu Alkoholverkauf an den Shops von Tankstellen. " Eine Alkoholbewilligung erhält nur, wer auch Lebensmittel anbietet," bedauert die Kiosk AG mit Blick auf die kleinen Kioske.

Fernsehreklame: Die Vorschriften über die Fernsehwerbung werden überprüft. Nachdem die Medikamentenwerbung freigeben wurde und sich als ertragreich erwiesen hat, tritt der Kampf für Bier und Wein im TV in eine neue Phase.

Zeitungsreklame: Die europäischen Grossverleger machen mobil gegen Werbeverbote für Alkohol und Tabak. Die Werbung sei die "finanzielle Basis für eine freie und pluralistische Presse. (Ein Gegenbeispiel: Weil der Sonntagsblick sich kritisch mit dem ehemaligen Denner-Boss befasst hatte, drohte Denner dem Blick mit
dem Entzug der Inserate.)

Promille: Grundsätzlich sind die Behörden in Brüssel und in Bern für höchstens 0,5 Promille; der Weg zur Realisierung ist aber steinig, kurvenreich und mit Hindernissen gespickt.

Aktionsplan Alkohol: Die Eidg. Kommission für Alkoholfragen hat einen nach dem Vorbild der WHO einen Schweizerischen Alkohol-Aktionsplan vorgestellt. Er schlägt drei Säulen vor:
1. Konsumenten und Konsumentinnen so informieren und motivieren, dass sie keine Alkoholprobleme für sich und andere entwickeln. Bei Problemkonsumenten geht es darum, diese bereits im Frühstadium zu entdecken und zur Änderung ihres Trinkverhaltens zu motivieren. Zudem will eine präventive Alkoholpolitik durch Steuerungsmassnahmen wie Preisbildungsbeeinflussungen und gesetzliche Regelungen (z.B. Besteuerung alkoholischer Getränke, Altersbeschränkungen, Beschränkung der Öffnungszeiten und der Angebotsdichte, 0.5-Promille-Grenze usw.) Alkoholproblemen vorbeugen
2. Alkoholbedingte Schäden sollen begrenzt werden.
3. Alkoholbedingtes Leiden soll geheilt oder gelindert werden.


Ziele 2001:

1. Ein landesweites Sensibilisierungsprogramm (momentan "Alles in Griff?") wird weitergeführt.
2. Bestehende Werberegelungen müssen bestehen bleiben.

Sackgasse Alkohol - Es gibt Hilfe: Unter diesem Motto stand der vierte Schweizerische Solidaritätstag für Menschen mit Alkoholproblemen. Der fünfte Solidaritätstag findet Anfang November 2001 statt.

Alles im Griff: 16% der Erwachsenen trinken keinen Alkohol, 60% gehen beim Trinken nur ein geringes Risiko ein. Das Programm des Bundes will diese 76% in ihrem Verhalten bestärken und die andern 24% auffordern, ihren Konsum in den Griff zu nehmen.

Schnaps-Steuern: Einheimischer und importierter Schnaps werden Juni 1999 gleich hoch besteuert. Die Folgen waren zu erwarten. 1. Es werden mehr vorher teurere Spirituosen (Wodka, Whisky) importiert und konsumiert. 2. Die einheimischen Obstbranntweine werden durch Billigimporte so konkurrenziert, dass Früchte pflücken zum Brennen und legal verkaufen nicht mehr rentiert. Bäume fällen oder selber trinken?

Schnaps-Steuern bis: Erhebungen der SFA haben gezeigt, dass der Konsum hochprozentiger Drinks kurzfristig um 25% zugenommen hat. Besonders markant war der Anstieg bei jungen Männern im Alter von 15 bis 29 Jahren: +52%!

"Nez Rouge": Die Aktion "Nez-Rouge" hat einen neuen Rekord aufgestellt: 7980 alkoholisierte oder übermüdete Automobilisten sind über die Festtage unfallfrei nach Hause gefahren worden.

(Vergleichen Sie die obigen Blitzlichter mit den Ethischen Grundsätzen, denen im Dezember 1995 auch die Schweiz zugestimmt hat.)

Europäische Charta Alkohol: Ethische Grundsätze

1. Alle Bürger haben das Recht auf ein vor Unfällen, Gewalttätigkeit und anderen negativen Begleiterscheinungen des Alkoholkonsums geschütztes Familien-, Gesellschafts- und Arbeitsleben.
2. Alle Bürger haben das Recht auf korrekte, unparteiische Information und Aufklärung - von frühester Jugend an - über die Folgen des Alkoholkonsums für die Gesundheit, die Familien und die Gesellschaft.
3. Alle Kinder und Jugendlichen haben das Recht, in einer Umwelt aufzuwachsen, in der sie vor den negativen Begleiterscheinungen des Alkoholkonsums und soweit wie möglich vor Alkoholwerbung geschützt werden.
4. Alle alkoholgefährdeten oder alkoholgeschädigten Bürger und ihre Familienangehörigen haben das Recht auf Zugang zu Therapie und Betreuung.
5. Alle Bürger, die keinen Alkohol trinken möchten oder die aus gesundheitlichen oder anderen Gründen keinen Alkohol trinken dürfen, haben das Recht, keinem Druck zum Alkoholkonsum ausgesetzt zu werden und in ihrem abstinenten Verhalten bestärkt zu werden.

Eduard Muster

(Dieser Rückblick ist im Blaukreuzkalender 2002 erschienen.)

Zurück:
1. Alkoholpolitik im Dienste der Gesundheit

2 .WHO und Alkoholpolitik

3. WHO zu Alkohol und Gesundheit 1998 - 2001

4. Schweizerische Alkoholpolitik - wohin?

5. Entwicklungen des Alkoholkonsums, der Alkoholkonsummuster und Probleme in der Schweiz
6. Chronik der Alkoholpolitik - 1. Teil

Hier:
7. Chronik der Alkoholpolitik - 21. Jahrhundert
Weiter:
7a. Alkoholpolitik unter der Bundeskuppel
9. Alkoholkonsum in der Schweiz

10. Historische Aktualitäten zur Alkoholpolitik
Zitate zu Alkohol
Gegen das überhandnehmende Brantweintrinken (1845)
Neues Kapitel:
Beiträge zur Alkohol-Geschichte der Schweiz
Sechs alkoholpolitische Kraftakte: Volksabstimmungen

http://www.edimuster.ch: Hier ist die Familie Muster in Ecublens VD - Eduard Muster: emuster@hotmail.com 04/06/09