Heiner Studer: «Ich bin zuversichtlich: die Werbewirtschaft verliert!»

IOGT-Rundschau 1/04
(Heiner Studer, am 16. Mai 1949 geboren, interessiert sich seit seiner Kindheit für Politik, und diese bestimmt sein ganzes Leben: seine Frau Marit, damals Funktionärin der jungen Christlichen Volkspartei Norwegens, traf er 1974 an einer Konferenz in den Niederlanden; im gleichen Jahr heirateten sie. Trauzeuge war der heutige norwegische Ministerpräsident Bondevik, wie Studer Blaukreuz-Mitglied. Studer ist Vater dreier erwachsener Töchter. 20 Jahre lang arbeitete Heiner Studer in der Geschäftsstelle des Blauen Kreuzes der Deutschen Schweiz in Bern, zuletzt 1984-2000 als Zentralsekretär. Und auch im Internationalen Blaukreuzvorstand war der Methodist 16 Jahre lang vertreten. Für die EVP, die Evangelische Volkspartei, sass Studer von 1973-98 im Aargauer Grossen Rat und seit 1986 im Stadtrat von Wettingen (seit 1994 im Teilzeitamt als Vize-Ammann).
Seit 1999 Nationalrat, sitzt Heiner Studer in der Aussenpolitischen Kommission und der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur. Als Präsident der EVP/EDU-Fraktion gehört er auch dem Büro des Nationalrats an.
Heiner Studer (44), abstinenter Aargauer Nationalrat und vierter Gast in unserer Interviewreihe, beantwortete aus seinen Ferien in Indien die Rundschau-Fragen. Er äussert sich zur aktuellen Alkohol- und Drogenpolitik aus Bern.)
Homepage: http://www.heinerstuder.ch/


Heiner Studer: «Ich bin zuversichtlich: die Werbewirtschaft verliert!»

IOGT-Rundschau: Seit einigen Monaten ist das neue Bundesparlament im Amt. Ist Drogenpolitik im Allgemeinen bzw. Alkoholpolitik im Speziellen in diesem Parlament überhaupt ein Thema?
Heiner Studer: Die Drogenpolitik wird auch im neuen Parlament eines der kontroversesten Themen sein.
Stellen Sie bei Ihren Ratskolleg(inn)en ein Interesse an alkoholpolitischen Fragen fest? Oder bezieht sich der Begriff «Drogenpolitik» fast ausschliesslich auf illegale Drogen?
Die Diskussion über die Alcopops zeigte, dass die Alkoholpolitik, sofern es sich um die Jugendlichen dreht, den Rat interessiert. Bei meinen Vorstössen – z.B. für die Erhöhung der Schnapssteuern – erlebe ich unterschiedlichste Reaktionen. Als einer, der in der Alkoholpolitik engagiert ist, werde ich sicher ernst genommen.
Welche alkohol- und drogenpolitischen Geschäfte werden das Parlament in nächster Zeit beschäftigen? Und wagen Sie eine Prognose über den Ausgang?
Als eines der nächsten Geschäfte wird wiederum das Betäubungsmittelgesetz zu beraten sein. Mein Postulat für die Erhöhung der Schnapssteuern nimmt der Bundesrat entgegen. Aus dem Rat wird es bekämpft. Bei diesem Vorstoss wird sich zeigen, welche Interessen dominieren werden.
In letzter Zeit wurden einige aus Präventionssicht «gute» Entscheide gefällt wie 0,5 Promille. Worauf ist das zurückzuführen?
Das Ja zur Senkung der Promillegrenze sehe ich vom Parlament her weniger als ein alkoholpolitisches Umdenken als ein wesentliches Zeichen für mehr Verkehrssicherheit. Doch entscheidend ist die Einsicht.
Vor langen Zeiten gab es im Nationalrat eine eigentliche «Abstinenten-Fraktion», die in entsprechenden Geschäften auftrat. Gibt es ausser Ihnen überhaupt noch BundesparlamentarierInnen, die alkoholfrei leben?
Es gibt wenige Ratsmitglieder, welche völlig alkoholfrei leben. Deshalb ist es äusserst wichtig, andere Ratsmitglieder zu motivieren und zu unterstützen.
Haben Sie seit dem Wechsel von Bundesrätin Ruth Dreifuss zu Bundesrat Pascal Couchepin an der Spitze des EDI spürbare Unterschiede in der Alkohol- und Drogenpolitik festgestellt?
Bei Ruth Dreifuss war das Interesse an der Suchtproblematik vorhanden. Bei Pascal Couchpin merke ich davon nicht viel. Doch hoffen darf man ja.
Die Werbewirtschaft steckt im Moment viel Geld in ihre fragwürdige Kampagne «Stopp Werbeverbote», in einem Moment also, wo in, mehreren Kantonsparlamenten die Frage eines Werbeverbots für Tabak- und Alkohol hängig ist. Wie geht die Sache aus?
Es ist erfreulich, dass in den Kantonen viele Werbeeinschränkungen beschlossen wurden. Deshalb reagiert auch die Werbewirtschaft. Doch bin ich in diesem Bereich zuversichtlich, dass sie verlieren wird.
Ist das Politisieren in einer Kleinstfraktion ausschliesslich ein Nach- oder hat es manchmal auch einen Vorteil?
Als Vertreter einer kleinen Partei, der EVP, habe ich in einer Kleinfraktion viel mehr Möglichkeiten als in einer grossen Fraktion. Als Fraktion sind wir im Büro, dem Leitungsorgan des Nationalrates, und in vielen Kommissionen direkt vertreten und haben mehr Redezeiten. Beim labilen Gleichgewicht im Nationalrat sind wir oft das Zünglein an der Waage. Persönlich fühle ich mich als präventionsorientierter Politiker durchaus ernst genommen. Ich versuche, sachlich und doch persönlich engagiert zu argumentieren.
Und zum Schluss: Gibt’s in fünfzig Jahren in der Schweiz noch Abstinenten-Organisationen?
Eine Abstinenzbewegung im herkömmlichen Sinne wird es in fünfzig Jahren vermutlich nicht mehr geben, aber immer mehr Menschen, welche neu ihre Freiheit zum Verzicht wahrnehmen werden, als Zeichen der Solidarität, aber auch zum Selbstschutz. Ich bin auf jeden Fall zuversichtlich.


Schnapssteuern erhöhen

In seinem Postulat bittet der EVP-Nationalrat Heiner Studer den Bundesrat, «seine Kompetenz wahrzunehmen und die Steuern auf Spirituosen mit dem Hauptziel der Konsumverminderung zu erhöhen.» Gegen die Erhebung einer Sondersteuer auf Alcopops argumentierte der Bundesrat noch, er nehme Rücksicht auf die Interessenlage des einheimischen Gewerbes. Studer gewichtet nun auf Grund der Zunahme des Konsums von Spirituosen die gesundheitspolitischen Gründe als wesentlich wichtiger. Die Beratung des Vorstosses ist hängig.


Hier finden Sie "Alkoholpolitik unter der Bundeskuppel" von Heiner Studer.